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Große Worte und die Entrümpelung von Vorschriften

Das große Vorschriftenentrümpeln. | Illustration: © Paul Blotzki

Wortgeklingel statt Werte

Gesellschaftliche Entwicklungen lassen sich in der Regel nicht mit großen Worten oder bedeutenden Reden voranbringen. Erinnern wir uns an die geistig-moralische Wende, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl 1983 versprochen hatte. Ziel war, eine Rückkehr zu konservativen Werten. Doch am Ende bliebe es bei billigen Worthülsen wie den von Jürgen Rüttgers (CDU-Spitzenkandidat in Nordrhein-Westfalen) im Jahr 2000 formulierten Satz: “Statt Inder an die Computer müssen unsere Kinder an die Computer.”

Weder stieg die Geburtenrate, noch machten sich viele Inder auf den Weg nach Europa, wie wir in der Rückschau sehen können. Gestritten wurde über die Definitionen von deutschen Wertebegriffen. Es waren rhetorisch geprägte Auseinandersetzungen, die eher in Seminare von pädagogischen Hochschulen gehört hätten als in den politischen Alltag. Von der geistig-moralischen Wende blieb außer Ankündigungen und Debatten, was denn die Wende überhaupt sei, wenig übrig. Es wird immer noch diskutiert, was den besonderen Kern deutscher Grundwerte ausmacht.

Berliner Rede von Bundespräsident Roman Herzog im Hotel Adlon, Berlin, 26. April 1997: “Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen.” | Quelle: © bundespraesident.de

Der unvollendete Ruck

1997 kam es dann zur „Ruck-Rede“ von Bundespräsident Roman Herzog. „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen. Wir müssen Abschied nehmen von liebgewonnenen Besitzständen.“, formulierte Herzog schneidig. Herzog blieb unkonkret und erst mit den Hartz-IV-Reformen, die Bundeskanzler Gerhard Schröder unter erheblichen Schwierigkeiten durchboxte, wurden einige Jahre später die unteren gesellschaftlichen Schichten so richtig durchgerüttelt und mussten Besitzstände abgeben. Das war zum Teil richtig, aber ein Ruck für alle Schichten in Deutschland war das nicht. Auf Besitzstände mussten die oberen Etagen der Gesellschaft nicht verzichten.

Reden zur Zeitenwende | Quelle: © Bundesregierung.de

Im Februar 2022, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, formulierte Bundeskanzler Scholz den Satz von der Zeitenwende und forderte ein Einstehen für eine offenes, gerechtes und friedliches Europa. Zwei Jahre später wird deutlich, dass eine solche Wende erhebliche Investitionen in den Rüstungsbereich bedeutet, die hohe Folgekosten nach sich ziehen.

Es zeigt sich derzeit, dass es sehr schwierig wird, nach den großen Worten Taten folgen zu lassen. „Et hätt noch emmer joot jejange“ heißt es dazu in Köln, wenn etwas getan werden müsste, aber nichts passiert.

Das wird in den nächsten Jahren aber nicht mehr genügen. Schon jetzt geht der Ukraine die Munition aus. Pathetische Reden und große Worte reizen stets zur Parodie, denn die Spannung zwischen Theorie und Praxis ist doch sehr groß.

Die ewige Sehnsucht nach dem Bürokratieabbau

Aber verlassen wir endlich die große Politik und gehen in die Niederungen des Alltags. Auch dort gibt es ein Erkenntnis- und Umsetzungsproblem.

Wer die politischen Debatten in den vergangenen Jahren einmal genauer anschaut, der wird regelmäßig grundsätzliche Reden zum Bürokratieabbau finden. Da ist von Ausmisten, Streichen, Beschleunigen und Überarbeiten von Vorschriften die Rede. Das Land soll dynamischer werden und sich weniger defensiv bei Investitionen verhalten.

Bayerns früherer Ministerpräsident Edmund Stoiber hat sich über längere Zeit sogar die Vorgaben der EU vorgenommen und wollte es den Firmen und Bürgern leichter machen. Er hat einiges gefunden, aber die Regelungswut dürfte über sein Ausmisten inzwischen wieder hinweg gegangen sein. Aktuell fordert Ministerpräsident Markus Söder wieder einmal eine „Entrümpelung“ der Vorschriften. Auch die Wirtschaft verlangt wieder einmal einen Abbau der Bürokratie, damit mehr investiert wird.

Die Bürokratie hält tapfer dagegen und verteidigt Regeln und Vorgaben, die sie selber und auch die Politik aufgestellt haben. Doch Bürokratieabbau bedeutet, dass man den Menschen mehr Vertrauen entgegenbringt und ihnen Verantwortung zurückgibt.

Zwei Beispiele aus Nürnberg

Über ein halbes Jahr durften Schulcontainer nicht verwendet werden, weil ihr TÜV-Siegel nicht aus Bayern war, sondern aus einem anderen Bundesland stammte. Wenn Lüftungsklappen für die Decke zugelassen sind, aber nicht für eine Wand und sie in eine Wand eingebaut wurden und deshalb Räume nicht benützt werden dürfen, dann mag das im Einzelfall theoretisch folgerichtig sein. Richtig ist es aber nur in einer juristischen Perspektive: Wenn praktisch entschieden worden wäre und es wäre etwas passiert, dann wäre die Verantwortungsfrage schnell gestellt worden. Deshalb wird auch nicht praxisnah entschieden.

Der Brandschutz ist in beiden Fällen übermächtig. Die Feuerwehr kann selbstständig entscheiden, was für den Brandschutz wichtig ist und was nicht. Ihr darf keiner reinreden. Das ist auch der Grund, warum Brandschutzvorgaben immer weiter wuchern und noch detaillierter werden. Theoretisch kann immer noch mehr passieren. Noch dazu haben Deutsche eine Neigung, alles zu reglementieren.

Wer Bürokratieabbau fordert, der vergisst, dass es für die meisten Regeln einen Anlass gab, sie einzuführen. Das gilt nicht nur für den technischen Bereich, sondern auch für den Sozial- und Sicherheitsbereich, denn es könnte möglichen Leistungsmissbrauch geben. Kontrollen muss es geben, aber in welcher Tiefe?

Macht es einfach einfacher!

Grundsätzlich fehlt es an Vertrauen des Staats gegenüber den Bürgern. Es herrscht immer noch die Einstellung vor, die Michel Foucault mit dem Titel eines seiner Bücher gut beschrieben hat: „Überwachen und Strafen.“ Individuelle Lösungen werden so verhindert. Es muss alles dokumentiert und nachgewiesen werden. Das schafft natürlich rechtliche Sicherheit für die Handelnden, aber auch Stillstand. Bei Bürgerinnen und Bürgern wächst das Unverständnis über hehre Ankündigungen und die Notwendigkeit, in der Praxis des Alltags zu bestehen. Da ist Frustrationstoleranz nötig. Da braucht es keine Wende, keinen Ruck und keine Pathetik des Bürokratieabbaus. Macht es einfach einfacher.

Aufsitzrasenmäher braucht keine Versicherung mehr – der 120-seitige Gesetzentwurf wurde abgelehnt. | Foto: © Ingo Doerrie via unsplash

Übrigens: Bei den viel zu vielen Vorschriften spielt natürlich auch die EU eine Rolle. In Berlin wurde ein angeblich 120 Seiten dicker Gesetzentwurf, angeregt von der EU, zu den Aufsitzrasenmähern diskutiert. Es handelte sich um einen Gesetzentwurf zur Haftpflicht von Gabelstaplern, Rasentraktoren und anderen selbstfahrenden Arbeitsmaschinen im Straßenverkehr. Bislang mussten Maschinen, die eine Höchstgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern nicht überschreiten, nicht eigens versichert werden. Es genügte die normale Haftpflicht. Da hat man doch noch eine Regelungslücke gefunden.


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