Nxrnberg

View Original

Das Leben hat die besten Geschichten

Früher war nicht alles besser – nur anders nervig. | Illustration: © Paul Blotzki

Warum man eine Portokasse braucht

War früher tatsächlich alles besser? Nein, war es nicht. Wir konnten aber besser als heute voraussehen, was kommt oder was nicht kommt. Ein heißer Krieg im kalten Krieg war nur in der Fantasie vorstellbar.

Ein Beispiel. Journalisten beklagten bis vor zwanzig Jahren zweimal im Jahr ein Nachrichtenloch. Sowohl im Sommer als auch zwischen den Jahren gab es politisch nicht viel zu berichten. Da wurden gewaltige Mengen an Gehirnschmalz in Bewegung gesetzt, um Zeitungsseiten zu füllen oder um Fernseh- und Radiofeatures mit Inhalten zu bestücken. In der Regel waren das keine journalistischen Sahnehäubchen, sondern eher Themen, die es das Jahr über nicht in die Berichterstattung geschafft haben. Bisweilen gab es trotzdem Perlen zu entdecken, weil auch das Nebensächliche Auskunft über gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen geben kann.

Angesichts der Themenvielfalt, die mit Social-Media-Kanälen möglich ist, gibt es keine nachrichtenarme Zeit mehr. Da wird jeder Einfall zu einem Ereignis aufgepimpt. Es wird über alles berichtet: Vom Kalbsgulasch nach Omas Art über die Blähungen des Hundes durch ein neues Futter bis hin zum Geburtstagskuchen am 74. Geburtstag, der dann auch noch als Jubiläum bezeichnet wird.

Da wird fröhlich behauptet, parallelisiert, vermutet und gewünscht, bis die Verbreitungskanäle voll und die Köpfe leer sind. Was inzwischen alles berichtenswert scheint und mit was heute alles Nachrichtenlöcher gestopft werden, das hätten sich die heute Älteren, die vor 30 Jahren noch jung waren, nicht träumen lassen. Besser oder schlechter? Auch in der analogen Zeit wurde über viel Überflüssiges berichtet, das man nicht zu wissen braucht.

Der Schreiber dieser Zeilen hatte in den Sommermonaten eine Geschichte erlebt, da braucht man nicht viel Fantasie, um sie zu verdichten oder literarisch aufzuwerten. Sie bietet in analoger wie in digitalen Zeiten ganz einfach Unterhaltung. Ausdenken lässt sich so etwas schon gar nicht.

Digitales Wunderwerk: Der Zähler ohne Zahl

Im April kam ein Schreiben von der N-Ergie, dass der analoge Wasserzähler gegen einen digitalen Zähler ausgetauscht wird. Der freundlichen Handwerker sagte dann, als er im April ging: „Sie müssen jetzt gar nichts mehr machen.“ Das geht alles digital. Das hört man als Kunde immer gern.

Doch ein paar Tage später kam das Kärtchen von der N-Ergie, dass man die Wasseruhr ablesen soll. Aber den analogen Zähler gab es nicht mehr. Den digitalen Zähler hatte der Handwerker mir nicht gezeigt und das Kästchen war zugeklebt. Es stand aber die 500 drauf. Ich ging davon aus, dass 500 richtig ist und meldete sie digital.

Ende Mai kam dann die Abrechnung: Der Verbrauch soll von 25 Kubikmeter auf über 200 Kubikmeter im Monat gestiegen sein. Das würde die Wasserrechnung von rund 20 Euro auf über 120 Euro im Monat steigen lassen und natürlich hätte der Anstieg auch Konsequenzen für das Abwasser. Der Abschlag würde von 63 Euro im Vierteljahr auf 367 Euro hochgehen.

Noch am selben Tag, dem 31. Mai, versuchte ich bei der N-Ergie zu reklamieren und erhielt, es war ein Freitag, eine selten dämliche Antwort: Sie haben schon seit Jahren eine sehr niedrige Rechnung, jetzt zahlen sie halt „Etwas“ mehr. Nun ja „Etwas“ ist für mich etwas anderes.

Der Versuch, in der anschließenden Woche das Problem zu klären, schien zu gelingen, denn es konnte drei Tage nach der Reklamation ein Foto vom digitalen Zähler gemacht und an die N-Ergie überstellt werden und die Bearbeiterin erkannte sofort, was falsch lief. Doch es passierte drei Wochen nichts.

Noch ein Anruf: Ach ja, sie haben ja das Foto schon geschickt. Irgendjemand im Konzern habe die Reklamation in den Ordner geschoben, der nicht bearbeitet wird.

Digitalisierung braucht Menschen

Merke: Auch digital und mit KI geht nichts von alleine. Es entstand ein Glücksgefühl, als Ende August, zwei Monate später, die 1413 Euro wieder auf dem eigenen Girokonto waren. Die Freude währte aber nur kurz, denn die Kämmerei der Stadt Nürnberg zog parallel über 1000 Euro aufgrund der falschen Wasserrechnung an Abwassergebühren ein, obwohl der Fehler schon im Juli gemeldet worden war.

Nein, hieß es Anfang September im Kassen- und Steueramt der Stadt, die Rückzahlung könne erst im November erfolgen, denn die Grundabgabenbescheide könnten nur viermal im Jahr geändert werden und die neue Wasserrechnung vom August hatte die Stadt im September noch nicht eingepflegt. Das dauere bis Oktober und erst dann könne der Fehler korrigiert werden.

Vivat, vivat: Es lebe die Digitalisierung! Jetzt wissen wir, warum wir eine Portokasse brauchen. 


Mehr Artikel

“Nürnberg. Ein Stadtporträt in 50 Kapiteln“

25. August 2024 – Nürnbergs Essenz: Historiker destilliert 1000 Jahre auf 375 Seiten. Ein Buch für alle, die Nürnberg lieben und verstehen wollen.

Weiterlesen

Ein Bildungscampus mit fränkischen Genüssen

4. August 2024 – Stadtplanung mit Weitblick: Nürnberg sichert sich Schlüsselimmobilie in Bestlage.

Weiterlesen

Die Plattler von Nürnberg: Nur nichts Grünes

Der Masterplan Freiraum: Zehn Jahre, 20.000 Quadratmeter Grün und eine Steinwüste.

Weiterlesen