Der Zeitgeist räumt auf. | Illustration: © Paul Blotzki

 
 

Die leise Rückkehr der strengen Regeln

Zeit und Zeitgeist sind ganz verschiedene Dinge. Die Zeit ist ganz konkret, doch der Zeitgeist, der weht wann und wo er will. Für die Deutschen ist er offenbar etwas Besonderes, denn ein Wort, das mit dem “Zeitgeist” vergleichbar ist, gibt es in den meisten anderen Sprachen nicht. Allerdings wurde er im Englischen als deutsches Lehnwort übernommen. Er hat demnach Relevanz und sagt etwas aus.

Der “Zeitgeist” ist ein sehr elastischer Begriff, der Vieles bedeuten kann und deshalb eher vage gesellschaftliche Konstellation oder Entwicklungen beschreibt. Aber allen Einwendungen zum Trotz, hat man doch derzeit den Eindruck, dass sich der Zeitgeist seit ein paar Jahren, in eine andere Richtung bewegt. Weg vom liberalen Denken, hin zu konservativen Positionen und zum durchsetzungsstarken Handeln. Autoritäre Parteien und Politiker haben derzeit weltweit Erfolg und bekommen deutlich mehr Zustimmung als noch vor wenigen Jahren. Selbst Werte und Positionen, die schon lange eine Patina angesetzt haben, erleben eine Renaissance. Was global zu beobachten ist, zeigt sich auch auf der lokalen Ebene in Nürnberg.

Duerer-Gymnasium in Nuernberg

Das Dürer-Gymnasium in Nürnberg. | Foto: © Janine Beck

Wer zu spät kommt, den bestraft das Gymnasium mit fünf Euro

Derzeit erzielt das Dürer-Gymnasium bundesweit große Aufmerksamkeit, weil es für notorische Zuspätkommer fünf-Euro-Strafe verlangt. Das gilt natürlich nicht für die Unterstufe und bevor ein Schüler fünf Euro Strafe zahlen muss, erfolgt ein mehrstufiges Verfahren, so dass die oder der Betroffene, meistens sind es Jungs, genügend Zeit zum Umdenken hat. Wenn es stimmt, wie die Schulleitung feststellt, dass alleine schon die Ankündigung, es könnten fünf Euro fällig werden, zu mehr Disziplin und Pünktlichkeit geführt hat, dann ist die Aktion ein Erfolg: Noch vor wenigen Jahren wäre eine Strafzahlung von Schülerinnen und Schülern ein unvorstellbarer Eingriff in Persönlichkeitsrechte gewesen. Eltern hätten großen Widerstand geleistet und die Lehrerschaft müsste sich wohl weiter respektlos behandeln lassen.

Den Unterricht zu stören, weil man zu spät kommt, ist natürlich auf den ersten Blick eine Lappalie. Ein Spaß, der Lehrer provozieren soll. Wer so handelt, kann sich der Aufmerksamkeit der Klasse sicher sein. Bekannte Schulstrafen können den Konflikt offenbar nicht mehr befrieden. Geschehen die Störungen des Zu-Spät-Kommens aber regelmäßig, dann ist es eine Zumutung für die anderen Schülerinnen und Schüler in einer Klasse, die etwas lernen wollen. Es muss gehandelt werden.

Da aber Ermahnungen, Gespräche und Verweise mit den Heranwachsenden, die sich an keine Regeln halten, offenbar nicht gefruchtet haben, geht es jetzt an den Geldbeutel, damit mehr Disziplin im Klassenzimmer herrscht. Mit Geldstrafen auf renitentes Verhalten zu reagieren, erklärt natürlich nicht, warum Schülerinnen und Schüler sich gegen ein System auflehnen. Es ist letztlich ein dummes Verhalten. Aber auch Autofahrer die in einem Parkverbot halten, müssen Strafe zahlen.

Erst der Bürostuhl, dann das Gewissen entsorgt. | Foto: © Janine Beck

Wilde Müllkippen, lahme Strafen

Ähnlich verhält es sich mit den Menschen, die ihren Sperrmüll an Glascontainern oder Altkleidersammelstellen in Nürnberg bequem entsorgen und einfach hinschmeißen. Inzwischen wird sogar der Hausmüll auf diese Weise weggeworfen.

Die Stadt hat sich dieses Problem in den vergangenen Monaten einmal genau angeschaut, denn es nimmt zu. Es gibt regelrechte Müll-Hotspots im Stadtgebiet. Mehrsprachige Informationstafeln und Hinweisschilder, auch in einfachster Sprache, haben bislang nichts genutzt. Offenbar glauben die asozialen – wenn man gnädig ist – gedankenlosen Müll-Verursacher, dass sie zu nichts verpflichtet sind. Die Allgemeinheit soll die Kosten tragen und die Hinterlassenschaften wegfahren.

Doch die erzieherischen Mittel eine Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße auszusprechen, sind sehr begrenzt. Da muss ein städtischer Mitarbeiter schon einen Müllsünder auf frischer Tat ertappen, wenn er alte Betten oder Sitzmöbel auf öffentlichen Plätzen oder am Straßenrand hinwirft. Am besten ist es, wenn ihn eine Polizistin oder ein Polizist begleitet. Ein solcher Müllüberwachungsstaat ist aber nicht finanzierbar, personell nicht darstellbar und auch nicht gewollt.

Am liebsten würde die Stadtverwaltung die Müll-Hotspots mittels Kameras überwachen. Aber auch das ist teuer und rechtlich nicht zulässig. Es ist allerdings schon ein tiefergehendes gesellschaftliches Problem, wenn Personen sich bewusst nicht an Regeln halten und dann auch noch ungeschoren davonkommen. Der Ehrliche ist dann der Depp. Nur zur Erinnerung: Wer Sperrmüll hat, der kann einmal im Jahr bei den städtischen Müllentsorgern anrufen, dann wird er abgeholt.

Müll-Hotspot in Steinbühl – einer von vielen. | Foto: © Janine Beck

Stadtverwaltung jagt alte Betten auf Abwegen

Was tun? Noch mehr Müllautos, die öfters ihr Runden drehen. Auch das muss erst einmal finanziert werden und zusätzliches Personal wird außerdem noch benötigt. Kommt es zu einer Rückkehr der früheren Regelung, die bis Anfang der neunziger Jahre gegolten hat, dass einmal im Jahr der Sperrmüll auf der Straße abgestellt werden kann, und die Müllabfuhr holt ihn ab? Die Stadtverwaltung will das auf keinen Fall. Professionelle Müllsammler hätten für chaotische Verhältnisse gesorgt und vom Recyclen ist dann gar nicht mehr die Rede.

Vorgeschlagen wird jetzt, dass nach Adressen von Tätern gesucht wird, die bisweilen im wild entsorgten Müll zu finden sind. Es wird konsequent verfolgt und ein Ordnungsverfahren eingeleitet, wenn man jemand haftbar machen kann. Auch will die Stadt schneller handeln, wenn eine Sperrmüllentsorgung angefragt wird, dann soll es künftig fix gehen, um die Wartezeiten kurz zu halten. Natürlich gibt es eine neue Kampagne, die auf die Folgen des unsozialen Entsorgens aufmerksam macht.

Räume deinen Müll weg, Zeitgeist!

Da ist er wieder der Zeitgeist. Offenbar genügt es nicht, Regeln aufzustellen, sie müssen auch konsequent ordnungspolitisch durchgesetzt werden. Das ist nach Jahrzehnten des “laissez faire, laissez aller” irgendwie doof. Aber es muss wohl sein. Räume deinen Müll auf, Du willst auch den von anderen nicht aufräumen.

 

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