Grafik: Soft City, David Sim

 

Nürnbergs beharrliche Liebe zur Altstadt

Nürnbergerinnen und Nürnberger interessieren sich schon aus Tradition, was in und mit ihrer Altstadt geschieht. Seit Jahrhunderten wird aufgepasst, was gebaut und abgerissen wird. Als im 19. Jahrhundert praktisch alle großen Reichsstädte ihre Stadtmauer abtrugen, hielt Nürnberg an seiner charakteristischen Ummauerung weitgehend fest.

Der Abriss einzelner Stadttore musste in jedem einzelnen Fall gegen großen Widerstand durchgesetzt werden. Selbst im Ersten Weltkrieg, als die Bevölkerung sicherlich andere Sorgen hatte, wurde intensiv darüber diskutiert, ob ein marodes altes Haus in der Innenstadt abgerissen werden darf oder nicht.

Zerstörung, Erhalt und Rekonstruktion

Nach den verheerenden Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg gab es in den fünfziger Jahren eine intensive Diskussion, welche charakteristischen Bauten wieder entstehen sollten. Neuen Schwung erhielten die Architekturdebatten mit der Neugründung des Vereins die „Altstadfreunde“ 1973.

In den vergangenen 50 Jahren sorgte der Verein, dem es vor allem um den Erhalt der historischen Substanz Nürnbergs, aber auch um Rekonstruktionen geht, immer wieder für heftige Architekturdebatten. Etwa bei der Bebauung des Augustinerhofs oder beim Wiederaufbau des Pellerhofs. Es gab regelrechte verbale Schlachten zwischen den Anhängern einer Moderne, die architektonisch aus der Vergangenheit nichts wiederholen möchte und den Fans eines historischen Bauens, das auch eine Rekonstruktion sein kann.

 
 
 

Ein Blick in die Zukunft

Bei der Vorstellung des neuen Norica-Hefts vom städtischen Archiv vor wenigen Tagen, ging es um Bauen in der Stadt und wie es weitergehen könnte. In der 19. Ausgabe dieses Norica-Hefts werden historische Bauprojekte behandelt, doch diskutiert wurde über die Zukunft. Es wurde versucht, einen Kompass zu finden, wie in Nürnberg künftig gebaut werden soll. Nicht nur in der Innenstadt.

Ja, gibt es überhaupt eine übergreifende Idee? Wer sich an die früheren unüberbrückbaren Kontroversen zwischen Modernisten und Anhängern von historischen Stilen erinnert, der war überrascht, dass das Thema überhaupt diskussionsfähig war. Die Fronten sind in Bewegung geraten.

 
 
 

Für Baureferent Daniel Ulrich steht die Frage im Zentrum: „Wie kann man die Stadt so gestalten, dass sie lebensfähig und lebenswert ist?“ Vor allem für Familien, für Kinder und es soll eine Teilhabe von Vertretern aller Schichten möglich sein. „Wir müssen die Chancen haben, etwas besser zu machen.“ und „Stadtentwicklung muss gesteuert werden, denn Städte leben vom Zuzug.“ Auf einzelne Fassadendiskussionen wollte Ulrich sich bei der Diskussion in der IHK aber nicht einlassen. Er plädierte aber für weniger Kontraste zwischen Historischem und Neuen.

 
 
 
Wie kann man die Stadt so gestalten, dass sie lebensfähig und lebenswert ist?
— Daniel Ulrich, Baureferent der Stadt Nürnberg
 
 
 

Von “Was weg ist, ist weg” zu sanfter Architektur

Wer sich an den Streit um den Wiederaufbau des Pellerhofs erinnert, der zwischen 2004 und 2006 ausgetragen wurde, der kann erkennen, dass die Situation sich entspannt hat. Von den „Modernen“ wurde der Wiederaufbau des Pellerhofs grundsätzlich abgelehnt. Rekonstruktionen sollte es nicht mehr geben.

Nach den Worten des damals obersten Denkmalschützers Egon Johannes Greipl: „Was weg ist, ist weg“. Die „Altstadtfreunde“ ließen sich aber nicht unterkriegen und setzten den Wiederaufbau mit Spendengeldern durch. Über fünf Millionen Euro haben sie gesammelt. Es entstand ein bürgerliches Vorzeigeprojekt, das 2018 fertiggestellt wurde.

Außenansicht Pellerhaus Nürnberg

Das Pellerhaus am Egidienplatz. Foto: Janine Beck

 

Die kopernikanische Wende beim Bauen

Die Zeiten ändern sich. Ohne großen Streit hat Bürgermeister Christian Vogel zusammen mit dem Vorsitzenden der Altstadtfreunde, Karl-Heinz Enderle, in diesem Jahr in kurzer Zeit eine Millionen Euro für den Wiederaufbau des zerstörten Turms des Volksbads zusammengebracht. Noch vor zehn Jahren völlig undenkbar.

Die Architektur- und Stadtentwicklungsszene ist in Bewegung geraten. Nimmt man die Anregungen aus den Veranstaltungen des Vereins „Baulust“ über skandinavische Architektur und die Entwicklung der „sanften Stadt“ hinzu, dann kann man tatsächlich von einer kopernikanischen Wende beim Bauen von Häusern und der Weiterentwicklung von Städten reden.

Weg vom postmodernen Mischmasch, weg von einer dogmatischen, weil rein abstrakten Moderne hin zu einer am menschlichen Maß orientierten Architektur, die Rücksicht auf die jeweilige Umgebung nimmt. Der Forderung von Baureferent Ulrich, dass behutsamer gebaut und mehr Wert auf die Gestaltung gelegt werden soll, können wohl alle Beteiligten mittragen.

 

Mehr Menschlichkeit, weniger Gewinnmaximierung + kleine Geschäfte, schöne Plätze, wenig Autos und viel Grün = Eine sanfte Stadt für alle.

Die Formel für eine menschen- und klimafreundlich Stadtplanung.
 

Menschliches Maß und sanfte Architektur: Die Vision von David Sim

Dazu passen die Anregungen des dänischen Stadtplaners David Sim, der in Neumarkt ein ganzes Stadtviertel entwickelt, dass mit menschlichem Maß eine sanfte Architektur entstehen kann, in der sich die Menschen wohlfühlen.

Am Anfang einer Planung sollte die Frage stehen: „Für wen plane ich?“ Die Frage nach dem „Was wird gebaut?“ muss sich der ersten Antwort unterordnen, so Sim. Mit vielen kleinen, durchdachten und handwerklich gut gemachten Elementen möchte der Stadtplaner, dass ein „Feriengefühl“ möglich ist und alles, was wichtig zum Leben gehört, innerhalb von 15 Minuten von der eigenen Wohnung aus erreicht werden kann: Das bedeutet, dass sich mehrere Funktionen an einem Ort überlagern müssen.

Sim plädiert für die Wiederentdeckung von Arkaden, die vor Sonne schützen. Gehwege sollen vor allem auf der Schattenseite von Straßen angelegt werden. Kleine Vorgärten machen ein städtisches Wohnen auch in den Erdgeschossen möglich. Kurze Wege zu Freiräumen oder ans Wasser können für Entspannung sorgen. „Es muss kleiner, niedriger und einfacher gebaut werden“, so Sim. „Maximal vier Stockwerke, damit Kinder schnell zu ihren Freunden kommen.“ Autos sollen zugunsten des öffentlichen Raums zurückgedrängt werden. Dafür braucht es aber klare Zielvorgaben und Druck auf Bauherren.

Grünanlage Kontumazgarten Nürnberg

Grünanlage im Kontumazgarten. Foto: Janine Beck

Nürnberg auf dem Weg zur “Soft City”

In Nürnberg gibt es zwar Ansätze für ein „sanftes Bauen“. Doch es fehlt die Konsequenz der Umsetzung. In wesentlichen Zielen bei der Stadtentwicklung sind sich die unterschiedlichen Akteure einig.

Vielleicht fährt der Nürnberger Stadtrat einmal mit der S-Bahn nach Neumarkt und schaut sich an, was „die sanfte Stadt“ nach menschlichem Maß heißt und dann kann man auch die Bauherren und Projektentwickler hinschicken: mehr Menschlichkeit und weniger Gewinnmaximierung wären in der Zukunft schön.

 

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