Hat der Freistaat falsch gerechnet?
Staatliche Planspiele ohne Plan
Vor wenigen Wochen verkündete das Bayerische Kultusministerium das „Aus“ für den Neubau der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät auf dem ehemaligen Schöller-Gelände, weil die Gerch-Group aus Düsseldorf Insolvenz angemeldet hatte und keine neue Lösung gefunden wurde.
Die Nürnberger Alpha-Gruppe, die mit einem kleinen Anteil beteiligt war, hätte das Projekt, ein vom Freistaat bestellter Bau für die Erziehungswissenschaftliche Fakultät, zwar zu Ende geführt, wenn es eine längere Laufzeit des Mietvertrags mit dem Freistaat gegeben hätte. Statt 20 Jahre sollten es angeblich 25 Jahre sein. Anders wäre das Bauvorhaben nicht finanzierbar. Danach hätte der Freistaat die Möglichkeit, die Erziehungswissenschaftliche Fakultät auf dem ehemaligen Schöller-Gelände zu kaufen.
Nach langem Hin und Her verwarf die Immobilien Freistaat Bayern (Imby), eine halbstaatliche Organisation, die sich um die Immobilien des Freistaats kümmert, das neue Angebot und bestand auf einer erneuten Ausschreibung des Bestellbaus für die Erziehungswissenschaften.
Als Lösungsansatz gab es auch die Möglichkeit, dass die Studierenden auf einem Gelände von Siemens in Erlangen einige Jahre vorübergehend unterkommen und parallel der derzeitige Standort der Erziehungswissenschaften in Nürnberg an der Regensburger Straße saniert wird. Nach der Fertigstellung des Gebäudes sollten die Studierenden wieder nach Nürnberg zurückkommen.
Imbys Planung kostet Zeit und Millionen
Um den Vorgang zu verstehen, muss man sich aber an folgende Zusammenhänge erinnern. Durch ein Gutachten über den baulichen Zustand der Erziehungswissenschaften an der Regensburger Straße stand seit 2013 fest, dass sich eine Sanierung nicht mehr lohnt und ein Neubau für die 2500 Studenten nötig ist.
Nach langen Verhandlungen und einer internationalen Ausschreibung erhielt die Gerch-Group mit ihrem Angebot, die Gebäude auf dem ehemaligen Schöller-Gelände (Kreuzung Westring, Bucher Straße) umzubauen, in diesem Jahr den Zuschlag. Nach neun Jahren! So richtig Tempo hat die Imby aber bei den Verhandlungen nicht gemacht. Wenn ein Projekt so lange dauert, dann gehören die beteiligten Personen ausgewechselt.
Der Zuschlag für das ehemalige Schöller-Gelände war aber gut begründet. Mit der geplanten Stadtumlandbahn (StuB) wären die neuen Erziehungswissenschaften sehr gut an Erlangen angebunden. Von den Gebäuden bis zur Straßenbahn sind es nur wenige Meter. Es war ein ökologisches Vorzeigevorhaben geplant, denn die Schöller-Industriebauten wären wieder genutzt worden. Außerdem gab es in der Ausschreibung nur zwei Standort-Alternativen und die waren deutlich schlechter. Um das zu erkennen, war kein Architekturstudium nötig.
Vor wenigen Wochen sollte plötzlich wieder alles ganz anders sein und ein Neubau wurde scheinbar nicht mehr benötigt. Der Rückzieher des Freistaats wurde mit der verlangten längeren Laufzeit des Mietvertrags begründet. Wenn aber ein Immobilienentwickler, nachdem er den Zuschlag erhalten hat, insolvent ist, dann ist das doch ein Zeichen, dass er ursprünglich zu knapp kalkuliert hat und über zu wenig Eigenvermögen verfügt, um eine Durststrecke durchzuhalten. Aber es gab eine Alternative, mit dem Bau auf dem ehemaligen Schöller-Gelände doch noch zu beginnen.
Hefe-Bast-Areal: Alternative mit Kompromissen
Durch die Neuausschreibung entgeht der Freistaat einem möglichen Gerichtsverfahren, wenn er den Mietvertrag für das Schöller-Gelände einfach verlängert hätte. Mit dem ehemaligen Hefe-Bast-Gelände in Buch kommt allenfalls ein neues Grundstück hinzu, das für den Bau der Erziehungswissenschaften geeignet wäre, wenn die Besitzer bei der Ausschreibung überhaupt mitmachen.
Derzeit läuft schon ein Bebauungsplanverfahren für das Areal, das Gewerbe und Wohnen zum Ziel hat. Im nördlichen Teil wäre aber grundsätzlich auch ein Uni-Bau möglich. Die Nachteile: Das ehemalige Hefe-Bast-Gelände ist weiter weg von der StuB als das Schöller-Gelände. Und ist das Knoblauchsland für eine Uni-Fakultät geeignet? Würde es nicht besser in die Nordstadt passen?
„Goldene Wasserhähne“ als Ausrede
Doch es gibt noch weitere Ungereimtheiten. Begründet wurde die Absage für das Schöller-Gelände auch mit dem Hinweis, dass die baulichen Standards zu hoch liegen würden und damit zu teuer sind. Man brauche keine „goldenen Wasserhähne“ hieß es. Das ist natürlich Quatsch und doch zugleich richtig. Aber kein Universitäts- oder Schulneubau verfügt über goldene Wasserhähne. Außer bei Fußballstars dürften solche Wasserauslasssysteme selten sein.
Es geht beim Gold-Standard nicht um luxuriöse Sanitär-Exzesse, sondern um das Erreichen eines CO₂-Zertifikats, das ein Gebäude mit besonders hohen Standards in Bezug auf Umwelt- und Sozialverträglichkeit ausweist. Der Gold-Standard ist ein Qualitätsstandard für Treibhausgasminderungsprojekte und lässt sich mit seinen Auswirkungen auf den Klimaschutz messen.
Vor wenigen Tagen brachte OB Marcus König nach seinen Verhandlungen mit der Staatsregierung in München die Botschaft mit, dass der Neubau für die Erziehungswissenschaften noch einmal ausgeschrieben wird. Das dauert wieder ein Jahr und – oh Überraschung, Überraschung – das Bauwerk soll in Nürnberg entstehen. Die Studenten müssen auch nicht vorübergehend nach Erlangen umziehen. Sie können in dem alten Bau der Erziehungswissenschaften an der Regensburger Straße in den nächsten Jahren bleiben.
6000 minus 2500 gleich Politik
Wenn die Pädagogen nach Erlangen gegangen wären, dann wären sie trotz aller Beteuerungen, dass es sich um ein Interim handelt, niemals zurückgekommen. Siemens hätte ja erst einmal die Räume für die Erziehungswissenschaften umbauen müssen und dann nach einigen Jahren erneut zurückbauen? Niemals. Das wäre dem Steuerzahler nicht zuzumuten.
Warum schon wieder ein Sinneswechsel, der den Verbleib der Erziehungswissenschaften in Nürnberg zum Ziel hat? Vielleicht hat Ministerpräsident Markus Söder, immerhin ein Nürnberger Abgeordneter, einmal nachgerechnet: Eine dauerhafte Verlagerung von 2500 Studentinnen und Studenten nach Erlangen würde seinem Ziel widersprechen, Nürnberg als Wissenschaftsstandort zu stärken.
Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die Technische Universität Nürnberg in zehn Jahren 6000 Studierende haben soll. Da hätte man aber erst einmal 2500 bis 3000 Studenten der Erziehungswissenschaften abziehen müssen, die dann in Erlangen angesiedelt wären. Das wäre für Nürnberg keine gute Rechnung gewesen. War Söder bei dem Geschiebe mit den Erziehungswissenschaften überhaupt eingebunden? Oder hat ihn die Staatsverwaltung umgangen? Oder nicht genau nachgerechnet? Vielleicht arbeitet derzeit der KI-Assistent an einer Antwort.
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