Ein Campus verschwindet
3000 Studierende verlassen die Stadt
Während die Staatsregierung positive Meldungen inflationär verbreitet, wird Negatives nur in homöopathischen Dosen bekannt gemacht oder durch Journalisten ans Licht gebracht. Die Zukunft der Erziehungswissenschaften, die seit Jahrzehnten in Nürnberg angesiedelt sind, liegt plötzlich in Erlangen, auf dem Siemens Campus und nicht mehr auf dem ehemaligen Schöller-Gelände in Nürnberg.
2026 werden die Gebäude an der Regensburger Straße in Nürnberg aus baulichen Gründen geschlossen, die betroffenen 3000 Studierende müssen nach Erlangen umziehen, wie vor einer Woche an dieser Stelle zu lesen war. Ein schwerer Schlag für Nürnberg auf dem Weg zu einer modernen Universitäts- und Wissenschaftsstadt.
Zum Vergleich: Die sich im Aufbau befindende Technische Universität Nürnberg (UTN) soll bis 2030 auf 6000 Studierende anwachsen. Von der seit Jahren von der Staatsregierung regelmäßig wiederholten Geschichte, dass Nürnberg als Wissenschafts- und Universitätsstandort gestärkt werden soll, ist nicht mehr die Rede. Nach dem Abzug der Erziehungswissenschaften bleibt von den Studierendenzahlen nicht mehr viel übrig.
Ein Aufschrei der Stadtspitze in Nürnberg blieb aus. Nur die SPD will in einem Antrag für den Stadtrat wissen, welche Konsequenzen der angebliche vorübergehende Umzug der Erziehungswissenschaften nach Erlangen für Nürnberg hat und ob Nürnberg der Standort für die Erziehungswissenschaften bleibt. Man möchte hier langfristig einfügen, denn vorerst sind sie erst einmal weg. Dass sie zurückkommen, ist unwahrscheinlich, denn wenn sie erst einmal auf dem Siemens Campus untergebracht sind, dann wäre es eine Verschwendung von Steuergeldern, diese Einrichtung wieder aufzugeben und in Nürnberg noch einmal den Neustart in fünf oder sechs Jahren zu versuchen. So ehrlich muss man sein.
Campus-Aus trifft auch StUB-Planung
Noch dazu müssten in dieser Interimszeit die bestehenden Gebäude an der Regensburger Straße grundsaniert werden, was 2014 als unrentabel abgelehnt wurde, macht 2024 wieder Sinn. Zehn Jahre wurde in Nürnberg nach einem Standort gesucht. Die Pläne für den Umbau der ehemaligen Schöller-Eisfabrik zu einer Hochschuleinrichtung sind fertig. Es sollte ein Vorzeigeprojekt für das Recycling eines leerstehenden Fabrik- und Bürogebäudes werden. Es wäre auch im Bereich der mobilen Nachhaltigkeit ein Leuchtturm geworden, denn das Schöller-Gelände wird über die Stadt-Umland-Bahn (StUB) mit Erlangen verbunden. Das „Aus“ für die Erziehungswissenschaften in Nürnberg ist ein schwerer Schlag für die prognostizierte Nutzerzahl und damit für die Rentabilität der StUB.
Blumes Meilenstein zerbröckelt lautlos
Das Schöller-Gelände hatte sich in einer Ausschreibung im Jahr 2022 gegen zwei Konkurrenten durchgesetzt. Das Lob für das Konzept der Düsseldorfer Gerchgroup, die zusammen mit der Nürnberger Alpha-Gruppe den Schöller-Umbau realisieren wollte, war außerordentlich. Wissenschaftsminister Markus Blume sprach von einem „echten Meilenstein für die FAU und für die Region“ und weiter: „Wir schaffen schnell eine nachhaltige, extrem qualitative und architektonisch ansprechende neue Heimat für die Erziehungswissenschaften.“ Aus Industriebrache werde Innovation, so Blume. Innenminister Joachim Herrmann nannte es ein wegweisendes Vorhaben, das zusammen mit der StUB die Universitätsstandorte Nürnberg und Erlangen enger zusammenbringen werde.
Selbst Joachim Hornegger, der damals noch immer beleidigt war, weil Nürnberg die UTN bekommen hatte, lobte am 2. Dezember 2022 das Konzept für das ehemalige Schöller-Gelände: „Das ist für uns ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk.“ Zwei Jahre später kommt es noch besser: Die Erziehungswissenschaften kommen ganz nach Erlangen! Die Freude wird noch größer sein.
Gerch-Insolvenz stoppt Vorzeigeprojekt
Schuld ist die Gerchgroup, die vor einem Jahr insolvent gegangen ist, weil zum einen ihre Kapitalausstattung nicht krisenfest war, und zum anderen die Kalkulation zu optimistisch gestaltet war. Da der Schöller-Umbau ein Bestellbau der Staatsregierung war und er für die Erziehungswissenschaften angemietet werden sollte, war die Planung, dass nach 20 Jahren das Schöller-Gelände entweder von der Staatsregierung gekauft wird oder der Mietvertrag verlängert wird. Der Vorschlag vonseiten der Investoren der zuletzt auf dem Tisch lag, betrug zuletzt eine Laufzeit von 25 Jahren. Sehr weit war man also nicht auseinander.
Den Kompromiss wollte aber die Immobilienverwaltung des Freistaats (IMBY) nicht. Die Begründung war, dass man die europaweite Ausschreibung noch einmal hätte durchführen müssen. Das ist natürlich grotesk. Schon bei der ersten Ausschreibung blieben nur zwei Konkurrenten neben dem Schöller-Projekt übrig, die allerdings sehr wenig zu bieten hatten. Das wurde alles intensiv geprüft. Eine weitere Ausschreibung hätte kein besseres Gelände hervorgebracht, denn Grundstücke vermehren sich in einer Stadt nicht. Es werden eher weniger, die für einen Hochschulstandort sinnvoll sind.
Interims bleiben: Nürnbergs Lehre aus der Vergangenheit
Wenn die Lage des Schöller-Geländes ideal ist, mit welchem Areal hätte dann ein neuer Investor in den Ring steigen können? Nein, es lag einzig und allein an der Laufzeit des Mietvertrags oder wollte die Staatsregierung den Erlangern ein Schmerzpflaster mitgeben, damit sie nicht weiter gegen die UTN opponieren? In der Staatskanzlei sitzt zwar mit Markus Söder ein Nürnberger, aber die Erlanger haben exzellente Beziehungen in die Staatsregierung und in den Landtag. Sie können auch sehr gut die Zu-kurz-Gekommenen spielen.
In Nürnberg gibt es ein Vorbild für ein Interim, das bleibt. Vor 25 Jahren wurde das Meistersinger-Konservatorium mit dem Augsburger Mozart-Konservatorium zur Musikhochschule Augsburg-Nürnberg zusammengelegt. Da das Geld nicht reichte, um, wie geplant, einen Neubau in der Innenstadt Nürnbergs zu realisieren, musste sie vorübergehend in die Räume des Sebastianspitals am Wöhrder See einziehen und dort werden sie auch bleiben. Zumindest wanderten die Studienplätze aber aus Nürnberg nicht ab.
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