Egoismus, fein versteckt oder die Musealisierung Nürnbergs
Wohnungsnot in Nürnberg: Gegner blockieren Neubauprojekte
Nürnberg hat zwei planerische Brennpunkte, die in den vergangenen zwei Jahren immer wieder aufloderten. Das ist der Kampf zweier Bürgerinitiativen gegen eine neue Wohnbebauung. Betroffen ist in Reichelsdorf das Gebiet der ehemaligen Radrennbahn und im Knoblauchsland das Gelände zwischen Wetzendorf und Schnepfenreuth Süd-West. Da werden Assoziationen vom Kampf David gegen Goliath aufgerufen. Klar, auf welcher Seite man zu sein hat, auf der der Bürger vor Ort, die alles besser wissen als die mächtige Stadt. Gutes und Böses sind klar verteilt.
Eigentlich dürfte es diese konfrontative Frontstellung gar nicht mehr geben. Die Ausweisungen von neuen Baugebieten müssen sehr gut begründet werden. Die Anlieger haben ein umfassendes Informationsrecht und können auch mitreden. Allerdings kann nicht jeder individuelle Wunsch bei solchen Planungen erfüllt werden. Geradezu prekär wird es, wenn der Egoismus, dass man in seiner Umgebung keinerlei Veränderung will, mit der Klimawende oder drohenden Großwetterlagen begründet wird. Wer naturnah wohnt, der will natürlich, dass sein idyllisches Umfeld nicht durch eine Neubebauung beeinträchtigt wird. Die Stadt muss sich aber am Gemeinwohl orientieren. Sie achtet auch darauf, dass Einzelnen nicht zu viel zugemutet wird.
Bist Du, so die Argumentation der Anlieger grob nachgezeichnet, gegen den Klimawandel und gegen schreckliche Großwetterlagen, dann musst Du uns unterstützen. Eine faire Güterabwägung kann unter solchen Fragestellungen nicht erfolgen. Menschen brauchen eben auch ein Dach über den Kopf, das bezahlbar ist. „Nein zur Überbauung von unserem Knoblauchsland“ heißt es auf der Internet-Seite der „Initiative Knoblauchsland“. Wer ist überhaupt „uns“? Aufgehübscht wird der Auftritt mit zwei Fotos: Die ländliche Idylle wird kontrastiert mit einer Skyline von Frankfurt oder New York oder Shenzen? In jedem Fall wird der Moloch einer Energie verschwendenden Großstadt aufgerufen. Wer will das schon? Es geht aber nicht um Hochhäuser, mit denen das Knoblauchsland überbaut werden soll, sondern um Wohnraum mit ganz normalen Häusern und Wohnungen.
Die Angst vor neuen Nachbarn und geförderten Wohnungen
Die „Initiative Knoblauchsland“ stellt auch die Notwendigkeit, neuen Wohnraum zu schaffen, grundsätzlich in Frage. Angeblich sei die Einwohnerzahl von Nürnberg von 537.986 auf 530.116 gesunken. Das ist natürlich falsch. Zum 31. März 2023 sind in Nürnberg 541.000 Einwohner gemeldet. Keine Wunder, dass der Kampf um eine Wohnung immer härter wird, die Mieten anziehen und die Schlange vor dem Wohnungsamt immer länger wird. Dass das betroffene Gelände auch noch zum Hochwassergebiet in Knoblauchsland ausgerufen wird und nasse Keller zu befürchten seien, ist ein weiterer Trick der Gegner einer Bebauung: Wer will schon nasse Keller? Allerdings ist das technisch kein Problem mehr. Im Übrigen haben große Bereiche in Nürnberg in früheren Zeiten nasse Keller gehabt. Das sagen schon die Namen: Fischbach, Altenfurt, Langwasser, Moorenbrunn, Neuselsbrunn. Da hätte man auch nicht mehr bauen dürfen. Bei dem Nein zur Bebauung im Knoblauchsland geht es schlicht darum, dass diejenigen, die schon eine Wohnung oder ein Haus haben, keine weiteren Nachbarn haben wollen, vor allem keine mit einem geförderten Wohnungsbau. Aber das wird nicht deutlich formuliert.
“Reichelsdorfer Keller”: Museum oder Wohnungen?
Im Umfeld der ehemaligen Radrennbahn „Reichelsdorfer Keller“ geht es ebenfalls heftig zu. Statt Einfamilienhäuser und Geschosswohnungsbau soll die baufällige Rennbahn erhalten werden und im Rahmen eines Parks der Bevölkerung zugänglich sein, fordert eine Bürgerinitiative. Das klingt richtig nach städtischer Idylle. Schön. Es wird außerdem behauptet, dass 208 alte, ehrwürdige Eichen abgeholzt werden. Das wäre angesichts der Klimawende regelrecht ein Baumfrevel. Die Zahl stimmt nicht und es sind wesentlich weniger. Ersatzpflanzungen von Bäumen werden außerdem abgelehnt, weil sie zu langsam wachsen. Die Initiative in Reichelsdorf ist gegen eine Neubebauung, weil geförderter Wohnungsbau mit entstehen soll. Am besten wäre es für die Anlieger, dass alles so bleibt, wie es ist. Der Klimawandel ist ein argumentatives Versteck für einen Egoismus, der keine Veränderungen im eigenen Umfeld will.
Die Entscheidung für eine Bebauung wurde von der Stadt im Übrigen transparent durchgeführt. Das Gelände gehörte dem Trägerverein der Radrennbahn. Das Geld sollte für ein neues Radrennstadion in Moorenbrunn ausgegeben werden. Was aber nicht klappen wird. Vor kurzem hat die Bürgerinitiative in Reichelsdorf den Denkmalschutz eingeschaltet und möchte die Rennbahn aus dem Jahr 1906, die nicht mehr benutzbar ist, gern auf Dauer erhalten. Dann könnte es keine Wohnbebauung mehr geben. Der Denkmalschutz ist ein neues, vorgeschobenes Argument, weil man keine neuen Nachbarn will. Ein Hebel wie die Klimakatastrophe.
Sicher, die historische Radrennbahn ist einmalig in Bayern. Aber soll die Stadt angesichts des Schuldenbergs von fast zwei Milliarden Euro tatsächlich eine marode Radrennbahn erhalten, die in einigen Jahren zusammenbricht? Soll es tatsächlich eine Musealisierung der Radrenngeschichte an dieser Stelle geben? Schon jetzt sind alle städtischen Museen unterfinanziert. Das Geld reicht nicht, weil die Stadt sehr viele Denkmäler hat. Allein das Reichsparteitagsgelände kostet jedes Jahr Millionen an Unterhalt. Auch das Spielzeugmuseum, was für den Tourismus in Nürnberg wichtig wäre, wartet seit 25 Jahren auf einen Erweiterungsbau. Wäre die Schaffung von Wohnraum in einem naturnahen Umfeld nicht viel wichtiger als eine Ausstellung von alten Rennrädern und historischen Eintrittskarten? Immerhin will die Stadt auch einen kleinen Teil der Radrennbahn aus Erinnerungsgründen erhalten. Das neue Baugebiet wäre gut erschlossen und würde in diesem Bereich dafür sorgen, dass der ÖPNV besser ausgelastet ist.
Der teure Stillstand: Wie Klagen den Wohnungsbau behindern
Dass die Betroffenen bei städtischen Entscheidungen mitreden dürfen, ja müssen, ist elementar wichtig. Die Stadt hat aber die Pflicht, eine Gesamtverantwortung zu übernehmen. Dazu gehört eben auch die Schaffung von bezahlbaren Wohnraum. Es kann nicht sein, dass der Klimawandel und der Denkmalschutz dazu missbraucht werden, die eigene Idylle zu pflegen. Wohnungssuchende haben in dieser Perspektive keine Chance. Betroffen sind junge Familien, Studierende, aber auch Einkommensschwächere, die unter den hohen Mieten leiden und keine Wohnung mehr finden. Die Initiative in Reichelsdorf beschreitet jetzt den juristischen Weg, um die neuen 220 Wohnungen zu verhindern. Bei den Klagen vor dem Verwaltungsgericht geht es vor allem um Formfragen, weil die Stadtverwaltung inhaltlich alles abgearbeitet hat. Die Klagen sorgen für eine zeitliche Verzögerung, sodass das Projekt teurer wird. Schon jetzt wurde jede Wohnung um 10.000 Euro teurer, weil ein Gutachten nach dem anderen eingefordert wurde. Das ist derzeit der einfachste Weg, etwas zu verhindern: Es wird so lange geklagt, bis das Projekt zu teuer wird, so dass es nicht mehr realisierbar ist. Das ist Stillstand in einer Stadtgesellschaft, den die jüngere Generation einmal ausbaden muss. Wohnungen, die heute nicht gebaut werden, fehlen morgen.
Bürgerinitiativen und Fake News: Die Herausforderungen der Stadtplanung in Nürnberg
Mit Initiativen und Verbänden zu verhandeln, ist langfristig gesehen für die Stadt schwierig, denn die Verantwortlichen haben vor allem ihr eigenes Anliegen im Sinn. Sie versuchen in aller Regel etwas zu verhindern. Verantworten müssen sie ihre Entscheidung und ihr Engagement langfristig nicht. Sie haben keine demokratische Legitimation. Ihre Forderungen als allgemein bedeutend auszugeben, ist reiner Egoismus. Noch dazu können gezielte Falschinformationen oder emotionalisierende Web-Seiten konstruiert werden, die nur für Verwirrung sorgen. Das sind Fake News im Rahmen eines bürgerlichen Engagements. Zur Rechenschaft können die Initiatoren nicht gezogen werden. Wie lautete noch einmal der kantsche Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde.“ Die Musealisierung der Radrennbahn und die vermeintliche Rettung vor Sturmfluten sind das sicherlich nicht.