Deutschland hat gewählt

 
Nürnberg nach der Bundestagswahl 2025, Illustration Paul Blotzki

Das wird nicht schön. | Illustration: © Paul Blotzki

 
 

Der lange Abschied von der roten Stadt

Eigentlich sollte an dieser Stelle nur über die Stadtentwicklung Nürnbergs geschrieben werden, doch die Bundestagswahl wird auch auf der kommunalen Ebene erhebliche Auswirkungen haben.

Die Wahl war ein Desaster für die SPD. Ganze 15,5 Prozent haben die Sozialdemokraten in der einstigen SPD-Hochburg Nürnberg bei den Zweitstimmen auf sich vereinen können. Es ist ein vergifteter Zufall, dass die AfD das gleiche Ergebnis erzielt hat. Das Schicksal meint es mit der SPD derzeit wahrlich nicht gut: Die Grünen haben auch noch die SPD von Platz 2 in der Gunst der Wähler verdrängt. In Nürnberg!

Da mag vieles für die SPD zusammengekommen sein. Die Kandidatin und der Kandidat für den Bundestag sind charismafrei und auf der lokalen Ebene, dort sollten sich auch Bundespolitiker bewegen, damit sie ein Gespür für die Menschen bekommen, sind sie fast unbekannt. Die Bundes-SPD und ihr Spitzenkandidat Olaf Scholz mit seiner Autosuggestion eines Wahlsiegs haben nicht gezogen und für eine Aufbruchstimmung gesorgt, doch das fehlte auch bei der Union. Noch dazu haben die Schwarzen ihre beiden Parteien so aufgestellt, dass offenbar nur Männer Politik machen. Das wirkte auch nicht einladend auf Frauen und Jüngere.

 
 
Stimmentabelle Bundestagswahl 2025

Wahlbeteiligung: 79,6% (288.232 von 361.937 Wahlberechtigten)

Gültige Stimmen: Erststimmen: 286.348 (99,3%), Zweitstimmen: 286.898 (99,5%)

 
 

Rasierte Macht: All Shook Up in Berlin

Nur nebenbei: Bei den aktuellen Verhandlungen der Parteispitzen von CSU und CDU ist keine Frau dabei. Während sich die CSUler betont lässig geben, denn sie tragen keine Schlipse, haben die Vertreter der CDU ihre Schlipse zu seriösen Knoten gebunden. Mal sehen, wer mehr Probleme löst und was für Frauen gnädigerweise vom Tisch der Patriarchen abfällt. Für politische Symbolik fehlt der Union schon seit Jahrzehnten jegliches Gespür. In einer Demokratie, die derzeit vor allem über Bilder, Schlagworte und Internetgeschichten funktioniert, braucht man sich nicht wundern, wenn man trotz angeschlagener Gegner nicht über 30 Prozent der Stimmen bundesweit bekommt. Diese Themen werden von der Union nicht oder nur unstrukturiert bedient.

Welches Narrativ will uns wohl der aus Nürnberg stammende CSU-Vorsitzende Markus Söder erzählen, wenn er zwei Tage vor der Wahl sein Walter Ulbricht Bärtchen abrasiert? Wollte er mit der Bart-Assoziation zum Hardcore-Sozialisten Walter Ulbricht im Wahlkampf Ost-Wähler umschmeicheln? Reines Demokraten-Bashing wie gegen den politischen Mitbewerber die Grünen ist auch zu wenig, um Wählerinnen und Wähler im großen Stil anzulocken. Es geht doch um Ideen und Konzepte, wie wir aus dem selbst verschuldeten Schlamassel wieder rauskommen. Der politische Feind der Union ist außerdem die AfD und nicht die demokratischen Kollegen von den Grünen. Da hätte im Wahlkampf längst mehr kommen müssen.

 
 
Das Nürnberger Rathaus im Abendlicht: Die rote Bastion wackelt. Mit 15,5 Prozent erreicht die SPD ihr historisches Tief.

Nürnberger Rathaus: Mit 15,5 Prozent erreicht die SPD ihr historisches Tief. | Foto: © Janine Beck

 
 

Die verlorene Sprache der Sozialdemokraten

Doch zurück nach Nürnberg. Die AfD hat ein gutes Wahlergebnis erzielt, obwohl sie im Stadtrat durch Ideenlosigkeit aufgefallen ist und damit keine Werbeeffekte für sich verbuchen konnte. Hinzu kommen noch Rassismus und Deutschtümelei bundesweit sowie ein wirtschaftliches Konzept, das jeden Tante-Emma-Laden in den Ruin führen würde, und fertig ist das Angebot für unzufriedene Protestwähler. Da hilft leider kein Lamentieren. Das ist nur noch peinlich, macht aber deutlich, wie enttäuscht viele Menschen von den etablierten Parteien sind. Das demonstrative Zusammenrücken der Demokraten unter bunten Fahnen hat in Nürnberg jedenfalls wenig genützt: Da versammeln sich nur Gleichgesinnte und der Gegner bleibt weg.

Die Wählerinnen und Wähler in Nürnberg haben in den vergangenen Jahrzehnten sehr genau gewusst, wo sie ihr Kreuz machen, wenn auf Kommunal-, Landes- oder Bundesebene gewählt wird. Das hat zu sehr differenzierten Wahlergebnissen geführt. Zufall ist das schlechte Ergebnis der SPD jedenfalls nicht. Zeichen setzen ersetzt keine Politik.

Komplexe Antworten auf einfache Fragen

Die Sozialdemokraten haben sich seit einigen Jahren zu sehr auf der intellektuellen Hochebene bewegt und dabei ihre angestammten Wähler verloren. Warum die eine Haubitze an die Ukraine geliefert wird und der Panzer nicht, könnten wahrscheinlich nicht einmal eingefleischte Sozialdemokraten erklären. Dass das Asylproblem stets mit den Hinweisen versehen wird, dass a) das individuelle Recht auf Asyl nicht ausgehöhlt werden darf und b) das europäische Asylrecht gilt und daran nichts verändert werden kann, versteht ebenfalls die Basis nicht mehr.

Abwarten war noch nie eine gute Politik und sich erst im letzten Vierteljahr vor der kurzfristig angesetzten Wahl auf seine Erfolge zu besinnen, erweckt den Eindruck, selbst die handelnden Akteure haben sie nicht gekannt. Die Sozialdemokratie hat auch wenig Freude und Zuversicht versprüht. Zukunftsversprechen: Fehlanzeige. Während die Linke mit sehr einfachen und unerfüllbaren Botschaften offenbar sehr viele Menschen und ihre Lebensrealität angesprochen hat. Die Spitzenkandidaten und die großzügige Kampagne haben sehr gut zusammengepasst.

Die SPD ist in einem Dilemma. Ist eine Zusammenarbeit mit der Union auf Bundesebene schon eine Kapitulation vor dem politischen Gegner und verrät die eigenen Ideale oder ist es doch ein pragmatischer, demokratischer Dienst für das Land, weil die Mehrheitsverhältnisse so sind wie sie sind?

Ein großer Teil der SPD wird diesen Dienst nur schwer mittragen. Wahrscheinlich glaubt sie, dass sie für diesen Dienst in einer großen Koalition noch etwas besonders verdient hat. Warum?

Nürnbergs kommunalpolitisches Fanal

In Nürnberg dürfte die Zusammenarbeit zwischen SPD und CSU, obwohl sie seit fast 20 Jahren ganz gut klappt, schwieriger werden. In einem Jahr sind Kommunalwahlen und die SPD wird Angst haben, dass, wenn die Stimmung so bleibt, sie auf dem vierten Platz in ihrer einstigen Hochburg landet. Sie wird sich deshalb sehr eigenwillig verhalten und auf jegliche Andeutung von einem schwarz-grünen Schmusekurs heftig reagieren. Wahrscheinlich schmollt sie dann.

Die Sozialdemokraten dürfen sich aber nicht beleidigt zurückziehen und sie sollten nicht die Linke kopieren. Eine auf links geschminkte SPD wird es mindestens so schwer haben wie die Union, wenn sie auf AfD light macht. Die SPD sollte sich klar machen, dass die Zeit für intellektuelle Nischenpolitik garniert mit differenzierten Diskussionen über Zeitgeistthemen und Empörungsmechanismen, ob im Bund oder in Nürnberg, vorbei ist. Es geht darum Lösungen und Ideen zu finden, die ökonomischen Fortschritt bringen. Es können nicht alle lieb gewordenen SPD-Kuscheltiere aus der Vergangenheit weiter gepflegt werden. Es wird Einschnitte und Veränderungen geben müssen, die hart sind und bei denen politisches Stehvermögen aus Überzeugung gefragt ist. Das wird nicht schön.

 

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