Hundert Sonntage Stadtgeschichte

 

Ein Wimmelbilderbuch der Stadtentwicklung: 100 Sonntagskolumnen in einer Ansicht. | Illustration: © Paul Blotzki

Seit Mai 2023 erscheint diese Kolumne. Es ist der 100. Artikel in dieser Reihe, ohne Pause, jeden Sonntag neu und umsonst. Ein kleines Jubiläum. Es ging an dieser Stelle vor allem um Stadtpolitik in Nürnberg. Mal mikroskopisch wie bei dem Erweiterungsbau für die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm am Rande des Cramer-Klett-Parks, den der Bund Naturschutz verhindern wollte, mal aus der Vogelperspektive im Hinblick auf die Landesgartenschau 2030. Die Reaktionen waren meistens positiv. Dank an die Redaktion, Janine Beck und den Grafiker, Paul Blotzki. Aber genug der Loberei.


 
 

Von Bäumen, Bomben und Bürokratiebarrieren

Angesichts der Zeitenwende auf allen politischen Ebenen habe ich mich entschlossen, das Themenspektrum zu erweitern. Der Nürnberg Schwerpunkt bleibt natürlich. Aber wenn ich durch Nürnberg mit dem Rad fahre, habe ich natürlich nicht nur den nächsten überfüllten Papierkorb im Blick, sondern auch die Welt-, Bundes- und Landespolitik im Kopf. Wie die meisten Menschen auch. Natürlich ist meine Perspektive eng, aber manchmal hat man schon den Eindruck, dass diejenigen, die einen weiten Horizont haben müssten, diesen nicht aufspannen.

Wenn SPD und Union bei den zurückliegenden Koalitionsverhandlungen über den Mindestlohn und über eine Steuerreform verhandelt haben, sich wohl auch einigen konnten und es aber wenige Tage später schon nicht mehr wissen, was das genaue Ergebnis ist, dann fehlt das Bewusstsein, dass wir tatsächlich in einer Zeitenwende mit großen Herausforderungen leben. Das schafft kein Vertrauen in die Regierungskompetenz von Union und SPD. Im Übrigen war es doch immer so, dass für den Mindestlohn vor allem die Tarifpartner zuständig waren. Finanzierungsvorbehalte sind auch nichts Neues.

Ein weiter so oder zurück zu alten Gewohnheiten mit ihren erprobten Schlachtordnungen wird die Probleme nicht lösen. Erst wenn die Schwierigkeiten einmal ohne Voreingenommenheit beschrieben werden, können sie auch innovativ gelöst werden. Mit der Verabsolutierung von Stammwählern – eine Basis, die erodiert - werden nur die furchtbaren Vereinfacher an den politischen Rändern gestärkt. Die jetzige Wahrscheinlichkeits-Koalition hat vier Jahre Zeit, eingerostete Denkweisen und parteipolitische Mythen, vulgo überkommenes Profil, möglichst schnell hinter sich zu lassen. Neue Armleuchter für Deutschland braucht man nicht, wenn gehandelt wird. Es muss doch möglich sein, Politik als argumentierendes Leitsystem zu etablieren, und das Stammesdenken, das nur an die eigenen Lagerfeuer denkt, hinter sich zu lassen. Ja, ja, ich weiß, das ist „gscheid daherreden“.

Der Neubau der UTN oder TUN in Nürnberg

Der Neubau der UTN an der Münchener Straße: Nürnbergs Sprungbrett in die nächsten 50 Jahre. | Foto: © Janine Beck

Radfahren durch politische Landschaften Nürnbergs

Aber fahren wir doch in der Jubiläumskolumne noch einmal mit dem Rad durch Nürnberg. Zum Gelände der Technischen Universität Nürnberg. Die UTN ist, ich wiederhole es immer wieder, die größte Chance für die wirtschaftliche, technische, und intellektuelle Weiterentwicklung Nürnbergs in den nächsten 50 Jahren. Wer sie behindert, müsste auf einem noch zu errichtenden Pranger auf dem Hauptmarkt wegen seiner Denkfaulheit lächerlich gemacht werden.

Im Herbst wird die UTN fünf Jahre alt. Mit dann 100 Studenten und über 30 Professoren ist sie immer noch in der Startphase. Noch immer wird sie von Neidern in anderen Universitätsstädten, die ihre Möglichkeiten nicht erkennen, kritisch beäugt. Die UTN darf sehr viel in Forschung und Lehre ausprobieren, was die größeren Uni-Tanker nur, wenn überhaupt, sehr kleinteilig können. Frühestens 2030 wird die UTN so richtig Fahrt aufnehmen. Neue Entwicklungen benötigen in Deutschland sehr viel Zeit.

Der Grund, warum ich an dieser Stelle auf die UTN hinweise, ist das Staatliche Bauamt. Das kaum einen Zeitplan für das Bauen in der Region einhält. Darunter musste auch die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg schon mehrfach leiden. Es dauert alles viel zu lange und ist zu umständlich. Schon vor einem Jahr wurde die Lüftung beim Neubau für die UTN als zu wenig leistungsfähig kritisiert. Das Problem ist noch nicht komplett gelöst. Den Bestellbau hat ein Generalunternehmer hingestellt, aber dann muss der Auftraggeber, sprich das staatliche Bauamt eben besser aufpassen.

 
 

"Störkörper" unter "erhaltenswertem Baumbestand". | Foto: © Janine Beck

Eidechsen zuerst, Bomben später

Weil die Bauten entlang der Münchener Straße für die UTN nicht rechtzeitig fertig werden, wird sie für die nächsten Jahre auf mehrere Standorte aufgeteilt. Sicher, aller Anfang ist schwer. Aber dass erst jetzt begonnen wird, nachdem die UTN vor fünf Jahren gegründet wurde, die Kampfmittel auf dem Gelände umfassend zu beseitigen, ist nicht akzeptabel. Sicher, die Bauverwaltung musste auf den Bebauungsplan Rücksicht nehmen, wo die UTN-Bauten genau hinkommen und es mag auch sein, dass das Vorgehen abgesprochen war. Aber, die Räumung des Bodens hätte sukzessive begonnen werden können. Es war absehbar, dass sich am B-Plan gegenüber dem Rahmenplan nichts wesentlich ändert. Die Suche nach Ersatzräumen war jedenfalls von Anfang an nicht geplant.

An der Qualität der sprachlichen Beschreibung lässt sich oft die Qualität der Entscheidung erkennen. Das folgende ausführliche Zitat macht deutlich, wie umständlich die Bauverwaltung vorgeht und warum eine Reform der Bürokratie im Baubereich dringend nötig ist. Erst werden die Eidechsen verlagert und dann wird der Boden auf Kampfmittel untersucht.

Die Begründung liest sich wie eine ungewollte Satire, die ein Jurist mit Hilfe der künstlichen Intelligenz verfasst hat:

Vor Entscheidung für diese Vorgehensweise mit der daraus resultierenden Fällung des erhaltenswerten Baumbestandes wurden Varianten untersucht, die die Gefährdung durch Kampfmittel bei gleichzeitigem Erhalt der Bäume auf ein vertretbares Niveau reduzieren könnten. Es wurde dabei festgestellt, dass keine der Varianten eine ausreichende Reduzierung des verbleibenden Restrisikos ermöglicht. Nach Abstimmung mit allen am Projekt beteiligten internen und externen Stellen wurde somit die Entscheidung getroffen, dass in den unmittelbar für die Baumaßnahme in Anspruch genommenen Baufeldern und Baulogistikflächen keine Gefährdung durch Kampfmittel im Boden verbleiben darf. Das Restrisiko von möglichen Auswirkungen auf das in der Abwägung höhere Schutzgut Mensch (gegenüber dem Schutzgut Baumerhalt) wäre aufgrund der erschütterungsintensiven Bodeneinwirkungen durch Bauarbeiten und Verkehrsbewegungen zu hoch. Der von diesem Umgriff betroffene Baumbestand muss daher – analog der Vorgehensweise in den Modulen I und II – gerodet werden, um eine Abtragung der störkörperbelasteten Schicht zu erzielen. Ausgenommen hiervon sind Grünflächen mit erhaltenswertem Baumbestand, für die kein baubedingter Handlungsbedarf besteht.
— Bauamt Nürnberg

Kurz: Wo gebaut wird, fallen die Bäume. So viel zum Erhalt der „ortsbildprägenden Altbaumbestände“.

Vergangenheit gräbt sich ein

„Störkörper“ können im Übrigen Sprengbomben oder Bombenschrott sein. Bei Bomben, die nicht explodiert sind, ist es möglich, dass sie auch noch nach Jahrzehnten hochgehen. Sie gehören mit Sicherheit nicht in die Fundamente von Universitätsgebäuden. Das weiß man doch seit Jahren. Warum wird der Boden der angrenzenden Wohnbebauung von Kampfmitteln frei gemacht und das UTN-Gelände erst nach ausführlicher Abstimmung mit allen Beteiligten? Das ist doch überflüssig: Die Kriegsdreck muss raus aus dem Boden. Es übernimmt keine der beteiligten Stellen die Verantwortung, dass Blindgänger Blindgänger bleiben, auch wenn man noch so viele Abstimmungen hin- und herschickt! Zum Glück werden die Menschen noch nicht als Störkörper bezeichnet.

Leider gibt es im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung keinen Passus darüber, dass bei der Überprüfung von Regularien Offenkundiges nicht mehr überprüft wird.

Zusatz für Baumfreunde: Es werden natürlich etliche 100 Bäume nachgepflanzt.

 

 

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Erinnerungskultur wird Bundessache