Erinnerungskultur wird Bundessache
NS-Täterorte werden Bundessache, NSU-Dokumentationszentrum kommt nach Nürnberg. | Foto: © Janine Beck
Nürnbergs Last wird nationale Aufgabe
Die Erinnerungskultur in Nürnberg hat in den vergangenen 25 Jahren einen sehr hohen Standard erreicht. Dabei geht es nicht nur um die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Propagandaapparats im Rahmen der Reichsparteitage und des NS-Alltags in Nürnberg im Dokumentationszentrum, sondern auch um die Kriegsverbrecherprozesse gegen Nazi-Größen nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Gründung des Völkerstrafrechts durch das Memorium. Die neue schwarz-rote Bundesregierung will aber noch einen Schritt weitergehen.
Im Rahmen des Koalitionsvertrags wurde vereinbart, dass Nürnberg auch das NSU-Dokumentationszentrum bekommt, das für Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Untergrunds sowie die Aufklärung dieser Verbrechen zuständig sein soll. Außerdem wurde beschlossen, dass es ein Investitionsprogramm für die Substanzerhaltung, die Stärkung von Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen sowie die Unterstützung bei innovativer Vermittlung von emblematischen Orten der NS-Täter, der Zwangsarbeit und der SED-Diktatur geben soll.
Dauerhafte Förderung statt Einzelfallhilfe
Wenn es einen emblematischen Ort der NS-Täter in Deutschland gibt, dann ist es das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Kulturbürgermeisterin Julia Lehner, die beim Verhandeln des Koalitionsvertrags in Berlin für die Bereiche Kunst, Kultur und Medien für die CSU mit dabei war, verweist darauf, dass erstmals in einem Koalitionsvertrag eindeutig formuliert wird, dass die Auseinandersetzung mit der Diktatur des Nationalsozialismus zum Fundament des historischen Bewusstseins gehört. Auch wenn es nicht explizit formuliert wird, ist natürlich damit auch die finanzielle Förderung durch den Bund verbunden, wenn er die Arbeit der Erinnerungskultur von emblematischen NS-Täterorten als Aufgabe Deutschlands einstuft und nicht nur als eine von der Stadt Nürnberg. Die Substanzerhaltung sowie die Stärkung der Vermittlungsarbeit können nur mit Geld vom Bund gelingen.
Wenn dem Vertrag Taten folgen sollen, dann muss der Bund sich mehr und dauerhaft für den Erhalt des Reichsparteitagsgeländes und anderer NS-Orte engagieren. Bislang waren es immer Einzelfallentscheidungen, wenn der Bund Fördergelder etwa zum Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände überwiesen hat. Mit dem Erhalt des Reichsparteitagsgeländes ist Nürnberg auf Dauer überfordert. Es ist eine nationale Aufgabe. Nürnberg kann diese allein auf sich gestellt nicht leisten.
In der Kongresshalle haben die Arbeiten für den Interimsbau begonnen. Die monumentale Struktur des NS-Propagandabaus verdeutlicht den enormen Sanierungsaufwand, den Nürnberg künftig mit Unterstützung von Bund und Land bewältigen soll. | Foto: © Janine Beck
Neue Strukturen für Nürnbergs Erinnerungskultur
Lehner plant, eine „Stiftung Kongresshalle“ zu gründen, die als übergeordnete Instanz die Erinnerungskultur und die Erhaltungsmaßnahmen auf dem Reichsparteitagsgelände organisiert und pflegt. Die Gelder von Bund, Land und Stadt sollten dann in Eigenregie und im Rahmen eines gemeinsamen Stiftungshaushalts verwaltet werden. Die Arbeiten auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände könnten dann wesentlich effektiver erfolgen. Im April 2026 scheidet Lehner als Kulturbürgermeisterin von Nürnberg aus dem Amt und könnte dann den Stiftungsvorsitz übernehmen.
Zwar steht das Vorhaben im Koalitionsvertrag unter einem Finanzierungsvorbehalt – es wird also nur umgesetzt, wenn genügend Geld vorhanden ist –, doch Lehner ist mit Unterstützung von Ministerpräsident Markus Söder ein richtiger Coup gelungen, der Nürnberg finanziell dauerhaft entlasten könnte. Es ist nicht die Aufgabe einer Stadt, nur auf sich gestellt, an den Verbrechen und Folgen eines diktatorischen Regimes abzuarbeiten. Zum ehemaligen Reichsparteitagsgelände reisten die NS-Parteigänger aus ganz Deutschland an und grölten ihre Parolen.
Erinnerung, Mahnung und Warnung
Dass Nürnberg auch noch die Zusage für die Errichtung eines NSU-Dokumentationszentrums zum Gedenken an die Verbrechen des nationalsozialistischen Untergrunds sowie zu ihrer Aufarbeitung bekommt, ist konsequent. Mit drei von zehn Opfern der rechtsextremen Gewalt hat Nürnberg den größten Anteil unter den vom NSU getöteten Menschen. Nürnberg hat sich in den vergangenen Jahren um das Gedenken an die Todesopfer bemüht. Es wurden Plätze und Parks nach ihnen benannt und es gab mehrere Bildungsprojekte, die sich um die kritische Aufarbeitung des NSU-Komplexes bemüht haben. Nürnberg steht stellvertretend für die anderen Städte, in denen der NSU getötet hat. Noch immer ist die Frage nicht ausreichend beantwortet, warum die Täter so lange nicht gefasst werden konnten. Das neue Dokumentationszentrum soll auch zu dieser Aufklärung beitragen.
Der Ort des neuen Dokumentationszentrums könnte direkt beim Memorium in der Fürther Straße liegen, dort wäre Platz, denn die ehemalige Reparaturwerkstatt für Autos ist nur eine provisorische Ausstellungsfläche. Es wäre auch inhaltlich der beste Platz: Zum einen würde das neue Dokumentationszentrum daran erinnern, dass rechtsextreme Gewalt immer wieder aufs Neue entstehen kann und Demokratien damit rechnen müssen. Zum anderen zeigt die Nähe zum Memorium, dass die Verbrechen rechtsstaatlich aufgearbeitet werden. Erinnerung, Mahnung und Warnung zugleich.
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