Ehrlich währt am längsten – wirklich?

 
Pavian mit weit geöffnetem Maul im Nürnberger Tiergarten - das Tier scheint zu brüllen oder zu gähnen

Aufschrei am Paviangehege: Die Tötung von zwölf Tieren im Tiergarten Nürnberg sorgte für heftige Proteste. | Foto: © Janine Beck

 
 

Tiergarten-Chef zwischen allen Fronten

Dag Encke, der Leiter des Nürnberger Tiergartens, ist eine der kompetentesten und ehrlichsten Persönlichkeiten in der Stadtgesellschaft. Entscheidungen werden von ihm umfänglich und nachvollziehbar begründet. Der Tiergarten in Nürnberg ist kein Tierasyl, sondern eine wissenschaftliche Einrichtung, die den Menschen das Leben gefährdeter Tiere näher bringt, damit sie ein Verständnis entwickeln.

Der Tiergarten soll das Überleben von Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind und hier aufgenommen wurden, sichern. Dazu gehört eben auch ein Populationsmanagement. Sonst würden die Bestände einiger Tierarten immer größer werden und sie könnten dann nicht mehr artgerecht untergebracht werden. Dass Tiergärten nötig sind, mag man bedauern, es liegt aber an uns Menschen: Wir nehmen den Tieren ihre Lebensräume weg.

Gescheiterte Alternativen am Schmausenbuck

Vor vier Jahren hatte Encke begonnen, darauf hinzuweisen, dass die Gruppe der Paviane zu groß für das Gehege am Schmausenbuck wird und die Tiere darunter leiden.

Eine Vergrößerung des Geheges ist wirtschaftlich nicht möglich. Alle Versuche, Tiere abzugeben, scheiterten. Es blieb nur noch das letzte Mittel, Paviane zu töten, damit die Überlebenden besser untergebracht werden können.

Häufig gestellte Fragen zur Pavian-Tötung

  • Die Paviananlage ist für maximal 25 Tiere ausgelegt. Bei 43 Tieren kam es zu gehäuften Konflikten und Verletzungen. Alle Alternativen wurden über Jahre geprüft:

    • Abgabe an andere Zoos: Seit 2011 nur 16 Tiere erfolgreich vermittelt

    • Verhütung: Führte zu dauerhafter Unfruchtbarkeit der Weibchen

    • Gehege-Erweiterung: Bereits 2009 erweitert, weitere Vergrößerung nicht möglich

    • Gnadenhöfe/Sanctuaries: Keine geeigneten Plätze verfügbar

    • Auswilderung: Keine sicheren Lebensräume verfügbar

    • Abgabe an andere Zoos: Seit 2011 nur 16 Tiere erfolgreich vermittelt

    • Verhütung: Führte zu dauerhafter Unfruchtbarkeit der Weibchen

    • Gehege-Erweiterung: Bereits 2009 erweitert, weitere Vergrößerung nicht möglich

    • Gnadenhöfe/Sanctuaries: Keine geeigneten Plätze verfügbar

    • Auswilderung: Keine sicheren Lebensräume verfügbar

  • Das WAMS hat trotz mehrfacher Anfragen seit Februar 2024 nie die erforderlichen Informationen zu Haltungsbedingungen, Kapazitäten oder Genehmigungen geliefert. Der Direktor bezeichnete die Nachfragen als "entsetzlich" und "beleidigend".

  • Versuche mit Verhütung führten zu dauerhafter Unfruchtbarkeit der Weibchen. Seit 2018 wird daher nicht mehr verhütet. Verhütung der Männchen (nur über Sterilisation möglich) macht keinen Sinn, da ein fruchtbares Männchen alle Weibchen decken könnte. Fortpflanzung ist essentiell: Partnerwahl, Paarung, Geburten und Aufzuchten spielen eine entscheidende Rolle für das Sozialleben der Tiere.

  • Die Anlage wurde bereits 2009 massiv erweitert (der Innenbereich wurde verfünffacht). Eine weitere Erweiterung würde andere dringende Projekte für bedrohte Arten verhindern und das Grundproblem nur verschieben.

Morddrohungen und Polizeischutz für Encke

Der Aufschrei in der Öffentlichkeit war gewaltig, obwohl Encke nichts unversucht gelassen hat, den Sachverhalt der Öffentlichkeit zu erklären.

Als am 29. Juli von 43 Pavianen 12 getötet wurden, erhielt Encke neben Bergen von unflätigen E-Mails auch Morddrohungen. Er musste unter Polizeischutz gestellt werden. Enckes Ehrlichkeit wurde nicht belohnt.

Im Netz kotzte sich jeder vermeintliche Tierfreund aus. Andere Tiergartenchefs in Deutschland hätten ähnlich wie Encke gehandelt, aber diese Entscheidung wahrscheinlich nicht öffentlich gemacht.

Welcher Tiergartengänger zählt schon bei seinen regelmäßigen Besuchen immer die Anzahl der Tiere im jeweiligen Gehege. Bei 43 Pavianen verliert man schon mal die Übersicht. Diese Ehrlichkeit ehrt Encke. Tiere fressen nun einmal Tiere, auch das gehört zum Leben dazu.

Viele Tierfreunde wollen das nicht wahrhaben, denn nach der Tötung der Paviane erreichte die Tiergartenerregungskurve im Netz noch einmal neue Höhen, als der Tiergarten das Pavianfleisch verfütterte.

Selbst ernannte Tierexperten fordern den Tod von Encke und auch von OB Marcus König. Sie wurden mit Bergen von Anzeigen konfrontiert. Geholfen haben dabei sicherlich professionelle Tierfreunde, die von ihrer Empörung als Spendensammler und Strategen leben.

Paviangruppe im beengten Gehege am Schmausenbuck - mehrere Tiere in und vor einer Höhle verdeutlichen das Platzproblem

Das Paviangehege im Nürnberger Tiergarten: Platzmangel führte zur kontroversen Entscheidung. | Foto: © Janine Beck

Ehrlichkeit statt schöner Schein

Encke hätte es sich natürlich leichter machen können und das Fleisch wäre an nicht einsehbaren Stellen verfüttert worden. Auch hier demonstrative Ehrlichkeit von ihm. Wollen die Menschen in Deutschland lieber belogen werden und eine heile Welt vorgespielt bekommen? Der Tiergarten als reine Unterhaltungseinrichtung, die nur den schönen Schein der Tiere zeigt? Das ist die reale Welt im Fernsehformat.

Hoffentlich nicht. Auf der Couch kann man leicht den Tierfreund geben, aber das passt nicht mit dem Wissen von Tierexperten zusammen. Die allgemein verbreitete Vermenschlichung von Tieren hat weniger das Tierwohl im Blick, sondern nur die eigene Sentimentalität. Die Praxis, tote Tiere oder Teile von ihnen zu verfüttern, ist auch in anderen Tiergärten üblich. Zuletzt gab es eine Aufregung darüber, dass in Dänemark eine tote Giraffe im Zoo von Wildtieren gefressen wurde.

Ja, vielleicht war es für sie ein Leckerbissen und die Menschen wenden sich mit Grausen ab. Wir wissen aber leider nicht, wie Tiere sich fühlen, wir behaupten es nur.

  • Der Tiergarten Nürnberg ist aktuell der einzige Zoo in Deutschland, der Guinea-Paviane hält. Die Weltnaturschutzunion IUCN stuft Guinea-Paviane als potenziell gefährdet ein.

    In den vergangenen 30 Jahren hat der Bestand wahrscheinlich bereits um 20 Prozent abgenommen. Der Tiergarten möchte an der Haltung festhalten, da eine Population in menschlicher Obhut die Basis für Auswilderungen bilden kann, wenn es irgendwann geschützte und dafür geeignete Räume gibt.

  • Die 31 verbliebenen Tiere (26 erwachsene, 5 Jungtiere) sind deutlich ruhiger geworden.

    Die Paviane sortieren ihr Sozialgefüge neu (Männchen schließen sich neu zusammen, Weibchen schließen sich an). Das ist völlig natürlich: Guinea-Paviane leben in Fission-Fusion-Systemen, regelmäßige Änderungen im Sozialgefüge sind normal.

  • Verantwortung für Transparenz: Auch schwierige und emotional herausfordernde Themen wie das Töten für den Arterhalt müssen erklärt werden. Zoos spielen eine spezifische Rolle im Artenschutz-Netzwerk – sie erhalten Populationen über Generationen gesund, damit Artenschutzorganisationen Zeit haben, Habitate wiederherzustellen.

  • Arten- und Naturschutz ist eine Mammutaufgabe – niemand kann es alleine schaffen. Zoos betreiben ex-Situ-Artenschutz: Tiere halten, züchten und Naturschützer vor Ort mit ihrem Wissen unterstützen. Ohne Zucht gibt es keine Tiere für Auswilderungen. Beide Ansätze ergänzen sich.

  • Der Tiergarten ist gemeinnützig. Einnahmen decken 70% der laufenden Kosten, 30% Subventionen durch den Stadthaushalt rechtfertigen sich durch Leistungen in Arterhalt, Bildung und Forschung.

    Auswahlkriterien für Tierbestand sind vielfältig: Bedrohungsstatus, EEP-Teilnahme, zoopädagogische Relevanz. Auch Besucherattraktivität ist ein Kriterium.
    ______________________________

    Quelle FAQ: © Tiergarten Nürnberg

Mut in der Kritik

Was man von Encke lernen kann, ist Mut und Contenance. Er tauchte in der schwierigen Situation nicht ab, sondern stellte sich den Kritikern, die ihn zum Teil heftig angegangen sind. Dabei hat er Besonnenheit und Haltung gezeigt. Ob es eine tiefergehende Debatte zu dem Thema geben wird, die der Nürnberger Tiergarten-Direktor angestoßen hat, ist derzeit offen. Er wünscht es sich. Wahrscheinlich werden wieder Verdrängungsmechanismen einsetzen, weil nicht sein darf, was man nicht sehen möchte.

Dass zwölf Paviane für eine Empörungswelle in solchen Höhen sorgen, lässt einen leicht an der Gesellschaft verzweifeln. Menschliche Schicksale können dabei nur noch schwer mithalten und erfahren deutlich weniger Empathie.

 

Mehr Artikel

Plauderbank am Sebalder Platz: Babbeln gegen Einsamkeit

27. Juli 2025 – Eine Bank, ein Schild, viel Gesprächsstoff: Am Sebalder Platz testet Nürnberg, wie Smalltalk Einsamkeit lindern kann.

Weiterlesen

8700 Fans, null Mundlöcher: Was Nürnberg von Münster lernen kann

29. Juni 2025 – Wie finanziert Münster sein 93-Mio-Stadion? Interview mit Preußen-Geschäftsführer über moderne Stadion-Konzepte.

Weiterlesen

Stilisierte Illustration von Paul Blotzki: rote Schildkröte mit Karl Marx Kopf

Kulturhauptstadt 2025: Der verweigerte Glanz

4. Mai 2025 – 3000 Garagen, ein Marx-Kopf und große Pläne: Ein Streifzug durch Chemnitz.

Weiterlesen

Weiter
Weiter

Monopoly gegen Millionen: Der Kampf um den FSW