Gewöhnung ans Entsetzen
Sucht der Freistaat für Nürnberg nach einer finanziellen Firewall?
Über die Sanierung des Opernhauses, den Bau einer Interimsspielstätte für das Opernensemble des Staatstheaters Nürnberg in der Kongresshalle und parallel dazu die pädagogische Weiterentwicklung des Reichsparteitagsgeländes wurde in diesem Blog schon mehrfach geschrieben. Zuletzt vor zwei Wochen, als es darum ging, dass eine Interimsspielstätte kein dauerhafter Ersatz für das Opernhaus ist.
Da derzeit von der Stadt noch etliche Weichen gestellt werden müssen und Abstimmungen erfolgen, gibt es gute Gründe dafür, die Thematik noch einmal anzugehen. Es geht nicht nur um inhaltliche Aspekte, sondern auch um die Größe des finanziellen Volumens. Als Hintergrundentwicklung kommt außerdem noch eine seit Jahren nicht mehr gekannte Welle an Preissteigerungen bei den Baukosten hinzu. Steuereinnahmen sinken oder reichen für die Zusatzaufgaben nicht und die Stadtgesellschaft will immer mehr von der Stadt.
Kann sich Nürnberg das alles leisten? Wurde zu groß gedacht? Was machen andere Städte?
Die letzte Frage ist am leichtesten zu beantworten. In Baden-Württemberg müssen das Badische Landestheater in Karlsruhe und das Staatstheater in Stuttgart saniert werden. Die Debatten darüber laufen in beiden Städten schon so lange wie in Nürnberg und sind ähnlich kompliziert.
Braucht es die Sanierungen noch angesichts der hohen Kosten? Bedient man doch nur einen aus der Mode gekommenen, antiquierten Kunstgenuss?
Nach einer breiten Debatte mit der Stadtgesellschaft, die dazu geführt hat, dass das Badische Staatstheater auf neue Zielgruppen zugehen muss, wurde im vergangenen Jahr mit der rund 580 Millionen Euro teuren Sanierung und dem Neubau in Karlsruhe begonnen. In Stuttgart hat vor einigen Monaten die Projektgesellschaft ihre Arbeit für die Sanierung des Staatstheaters aufgenommen.
Schon im Oktober wurde von den Verantwortlichen sicherheitshalber einmal gewarnt, dass eine Milliarde Euro, die im Raum stand, wohl nicht reichen könnte. Ein Betrag, der noch vor drei Jahren als undenkbar galt. Es ist offenbar nur eine Frage der Gewöhnung.
In Stuttgart wie in Karlsruhe geht man von einer Sanierungszeit von zehn Jahren aus. Auch in Nürnberg. Von der Größe und von den Kosten her liegt Nürnberg bei der Sanierung zwischen Karlsruhe und Stuttgart. Der Vergleich zeigt, dass Zeitplan und Kostenrahmen in Nürnberg bislang nicht aus der Reihe fallen.
Großartig oder zu groß gedacht?
Zu den Kosten im Einzelnen. Bislang geht man in Nürnberg bei der Sanierung des Opernhauses, die im Detail noch nicht beschlossen ist!, grob davon aus, dass sie mindestens 385 Millionen Euro plus jährliche Preissteigerungen seit 2020 kosten wird.
Der Betrag setzt sich aus einer Nutzfläche von 27.000 Quadratmetern, die saniert oder neu gebaut werde sollen und aus je 14.000 Euro an Kosten für den Quadratmeter zusammen. Das ist eine Vergleichszahl, die bei der Sanierung der Oper Unter den Linden in Berlin herausgekommen ist. Ein mit dem Nürnberger Opernhaus vergleichbarer Bau.
Hinzu kommen in Nürnberg noch die Kosten des Ausweichquartiers in der Kongresshalle während der Sanierungsphase. Der grobe Kostenrahmen dafür liegt bei 220 Millionen Euro. Darin ist der Aufführungssaal mit einem Budget von 42 Millionen Euro enthalten sowie die Nutzbarmachung der Kongresshalle für Kunst und Theater. Hinzu kommen noch Lagerräume für 33 Millionen Euro.
In den nächsten Monaten wird über die Vergabe für den Bau des Interims entschieden. Abgegeben wurden einige Angebote von Baufirmen mit Architekten. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass es eine Interimsbühne noch für 42 Millionen Euro geben wird. Sollte ein architektonisch gelungenes Vorhaben dabei sein, dann wird es wahrscheinlich teurer.
Dass ein Interim gebaut wird, hat von Anfang an keinen Sinn gemacht, denn den Steuerzahlern kann man nicht vermitteln, viele Millionen für ein teures Interim auszugeben und es dann wieder abzureißen. Auch wenn es die Denkmalschützer gerne hätten. Oberbürgermeister Marcus König hat wohl auch deshalb den Begriff Interimslösung schon länger nicht mehr verwendet. „Es wird eine weitere Spielstätte des Staatstheaters bleiben“, formuliert König.
Rechnet man noch die Inflation hinzu, dann belaufen sich die Kosten für ein solides Interim auf 400 Millionen Euro. Zur Erinnerung: Darin sind die Sanierungskosten für die Oper noch nicht enthalten. Das ist viel Geld und die Stadt Nürnberg versucht auf allen Ebenen Fördergelder zu bekommen.
Doch das ist noch nicht alles. Zu den rund 400 Millionen Euro für das Interim kommen noch die Opernhaussanierung mit 600 Millionen Euro hinzu und 89 Millionen Euro für die Sanierung der Tribüne auf dem Reichparteitagsgelände mit einem ausgesprochen üppigen pädagogischen Programm sowie die Einbindung des Bahnhofs Dutzendteich in die Ausstellung des Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände.
Bei dem Konzept lässt sich schon einmal fragen, ob es diese Größenordnung einer dekonstruierten Wiederaufnahme der Reichsparteitage braucht. Das ist viel pädagogisch wertvolle Ehre für Nazi-Bauten.
Auch das Max-Morlock-Stadion muss saniert und umgebaut werden, wenn es mittelfristig in Nürnberg noch Profi-Fußball geben soll. Das Projekt mit Gesundheitseinrichtungen und einem kleinen Leichtathletikstadion ist ambitioniert, aber sehr durchdacht.
Die Finanzierung ist jedoch noch offen. Grob geschätzt belaufen sich die Kosten auf 200 bis 250 Millionen Euro. Wie beim Opernhaus, beim Opernhausinterim und beim Reichsparteitagsgelände wird eine massive finanzielle Unterstützung des Freistaats benötigt.
Der teure Verzicht: Warum der Konzertsaal die Rettung für das Interim hätte sein können
Die Sanierung der Meistersingerhalle, die seit einem Jahrzehnt überfällig ist, ist bei den vielen Vorhaben noch gar nicht berücksichtigt. Es rächt sich jetzt, dass die Stadt den Konzertsaal, für den der Freistaat tief in die Taschen greifen wollte, aufgegeben hat. Zusammen mit der Meistersingerhalle hätte er zunächst das Interim für die Opernhaussanierung abgeben können. Angeblich war der Umbau für ein Interimsopernhaus zu teuer und der neue OB Marcus König wollte kein neues Bauprojekt beginnen, bevor die alten Baustellen nicht abgeschlossen sind.
Geheime Pläne und große Zweifel
Im Rathaus kursiert aktuell aber auch das Gerücht, dass dem Staatstheater die Räume nicht gepasst haben, weil die eigenen Kulissen für die Meistersingerhalle zu groß gewesen wären. Wenn es stimmt, wäre es ein Skandal. Man muss sich auch mal eine Zeit lang bescheiden können.
Wie auch immer. Die Einzelheiten der Entscheidungsfindung werden sich wohl nicht mehr nachzeichnen lassen. Die Gefahr für die Stadt Nürnberg besteht jetzt darin, dass der Freistaat, der mit Sicherheit die einzelnen Vorhaben nicht komplett finanzieren will und förderungstechnisch auch nicht darf, nach einer finanziellen Firewall Ausschau hält: Die Sanierung des Opernhauses auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zu verschieben, wäre eine Möglichkeit, so ist zu befürchten. Nürnberg hätte dann nur ein kleines Interimsopernhaus auf Dauer, das aber aufgrund der beschränkten Anzahl von Sitzplätzen ein hoher Verlustbringer wäre. Es würden die Synergieeffekte zwischen Opernhaus und Schauspielhaus wegfallen und so die Kosten noch einmal steigen, weil ihr Betrieb getrennt laufen würde.
15 Jahre, drei Projekte: Ein modernes Fußballstadion, ein klangvolles Opernhaus und ein akustisch herausragender Konzertsaal für Nürnberg. Die Uhr tickt.
Ein leer stehendes Opernhaus, das der Sanierung harrt und ein eingesparter Konzertsaal sind keine Perspektiven für Bayerns zweitgrößte Stadt. Da nutzen als Kompensation für die kulturelle Lücke ein pädagogisch gestaltetes Reichsparteitagsgelände und eine Magnetschwebebahn an einer Stelle in der Stadt, wo sie wenig Sinn macht, nichts. Die Alternative wäre, die Sanierungspläne des Opernhauses noch einmal abzuspecken. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung braucht es wohl nicht jede Technik und vielleicht auch nicht ein so üppiges Raumprogramm, die noch vor zehn Jahren allererste Priorität genossen haben.
Nürnberg braucht ein modernes Fußball-Stadion, ein klanglich überzeugendes Opernhaus in der Mitte der Stadt und einen akustisch hochwertigen Konzertsaal. Das muss innerhalb von 15 Jahren doch möglich sein, damit die Stadt nicht an Attraktivität einbüßt.
Sind sie die vergessene Lösung in der Wohnungskrise?