Blätter, Zwerge und ein „Meilenstein“

 

Der Innenhof der Kongresshalle heute. Bis 2027 entsteht hier eine vorübergehende Spielstätte für 800 Menschen. | Foto: © Janine Beck

 
 

296 Millionen Euro für Kultur im Nazibau

Mit großer Mehrheit hat der Stadtrat in der vergangenen Woche dem Bau eines Interims, einer Ausweichspielstätte, für die Oper und das Ballett in der Kongresshalle zugestimmt, weil das Opernhaus saniert werden muss. Es entstehen auch Ateliers und Übungsräume für die Kunstszene, obwohl die Kosten für das gesamte Vorhaben von 211 auf 296 Millionen gestiegen sind. Davon werden Bund, Land und Europäische Union 210 Millionen Euro übernehmen.

Alles andere wäre auch nicht verantwortbar, wenn Nürnberg eine Großstadt sein will. OB Marcus König sprach von einer “historischen Entscheidung”, Kulturbürgermeisterin Julia Lehner freute sich über den “Meilenstein für die Kultur” und die SPD-Fraktionsvorsitzende Christine Kayser lobte die “Ergänzung der Demokratiebildung durch Kultur“.

Das Staatstheater und damit auch das Opernhaus bieten ein kulturelles Angebot für immerhin 1,2 Millionen Einwohner in der ganzen Region. 2028 muss das Opernhaus definitiv wegen Sicherheitsmängeln schließen. Dass die Feuerwehr den Weiterbetrieb unter Auflagen bis 2027 zulässt, liegt an der sukzessiven Verkleinerung der Zuschauerzahl, vor allem in den Oberrängen. Doch zurück zur Entscheidung des Stadtrats.

 
 

Die neue Spielstätte des Staatstheaters im Innenhof der Kongresshalle. So sieht sie aus. | Quelle: © Georg Reisch GmbH & Co. KG / Stadt Nürnberg

 
 

Vier Baufirmen hatten nach einer europaweiten Ausschreibung zusammen mit je einem Architekturbüro Pläne mit Baukosten eingereicht. Eine Jury, bestehend aus Bauexperten und Politikern gab der Baufirma Georg Reisch aus Bad Saulgau zusammen mit dem Architekturbüro LRO (Lederer+Ragnarsdóttir+Oei) den Zuschlag für den Ergänzungsbau im nordwestlichen Teil des Innenhofs der Kongresshalle. Mit der Firma Reisch hat die Stadt beim Bau der Johann-Pachelbel-Realschule gute Erfahrungen gemacht, was den Kostenrahmen und die Qualität des Baus anbelangt.

Es wird ein funktionaler Ergänzungsbau sein für eine Bühne und einen Zuschauerraum mit 800 Plätzen, Orchestergraben sowie bühnennahen Funktionsbereichen, die nicht im Kongresshallen-Rundbau untergebracht werden können.

Wilder Wein frisst Größenwahn

Ganz bewusst erhielt der Entwurf von LRO den Zuschlag, weil er auf eine eigene Architektursprache verzichtet und sich gegenüber dem historischen Torso sowie dem “Pfeil” des Dokumentationszentrums gestalterisch zurücknimmt. Er ist keine architektonische Konkurrenz, die sich als wichtig inszeniert. Weder gegenüber dem Denkmal des NS-Baus noch zur Erinnerungskultur des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände von Günther Domenig. Der 25 Meter hohe Kubus von LRO erhält eine begrünte Außenhaut. Efeu und wilder Wein sollen sich an Drahtschnüren emporranken.

Das mag symbolisch vertretbar sein, weil das Grün einen Raum zurückerobert, an dem die Nationalsozialisten 800 Bäume geschlagen haben, um die Kongresshalle zu bauen. Es ist aber sicherlich eine Entscheidung, die auf Dauer viel Unterhalt kostet und es wird spannend, ob das Grün tatsächlich unter diesen Bedingungen wächst. Aber auch vertrocknete Blätter haben eine Symbolik. Der Zuhörerraum ist komplett behindertenfreundlich ausgelegt. Baubeginn ist für 2025 vorgesehen. Der Spielbetrieb soll 2028 starten.

Wenige Tage vor der Entscheidung kamen Stimmen auf, dass der Bau doch kein Interim ist, in dem die Staatsoper so lange spielt, bis das Opernhaus saniert ist, sondern auf Dauer in der Kongresshalle bleiben wird. Aus heutiger Sicht ist das Unsinn.

Der Bau eines Interims in der Kongresshalle war von Anfang an umstritten, denn es gab Gegner, die eine kulturelle Nutzung der Nazi-Hinterlassenschaft, die aber nicht fertiggebaut wurde, entschieden ablehnten.

 
Betritt man als Besucher das Hufeisen durch den kleinen Torbogen zum Innenhof, erblickt man rechter Hand, sich leicht in die Mittelachse schiebend, eine bepflanzte Wand. Auf den zweiten Blick nimmt man die gesamte Volumetrie wahr, die zwar im Innenhof verortet ist, die Wahrnehmbarkeit des Bestandes jedoch, auf Grund der Andersartigkeit, nicht wesentlich beeinträchtigt. Die gescheiterte Gigantomanie bleibt weiter erlebbar, was die wichtigste Aussage des Denkmals ist.
 
 
 

Leise Architektur, laute Botschaft

Der steinerne Torso sollte ein authentisches Zeichen für den nationalsozialistischen Größenwahn und sein Scheitern bleiben und uneingeschränkt als solches wahrgenommen werden können. Diese Haltung unterstützte auch das Landesamt für Denkmalschutz, das einer kulturellen Nutzung nur unter Bedingung zustimmte, dass es eine zeitlich begrenzte Ausweichspielstätte während der Sanierung des Opernhauses sein wird.

Deshalb wurde in der Diskussion stets Wert auf den Begriff Interim gelegt. Es war der verbale Hebel, dass die Stadt keinen offiziellen Beschluss gegen das Landesamt fassen musste, um den Denkmalschutz aufzuheben. Das “Interim” war ein strategischer Begriff. Nachdem feststeht, wer baut, was gebaut wird, was es kostet und wer bezahlt, braucht man den Begriff “Interim” nicht mehr.

Aber natürlich war allen Beteiligten klar, dass das Interim kein Saal und keine Bühne auf Zeit sein wird, sondern dauerhaft benutzt wird. Es wäre doch verrückt 50, 100 oder, wie jetzt 300 Millionen Euro in einen Bau zu stecken, der dann wieder abgerissen oder für viel Geld abgebaut wird und an anderer Stelle wieder aufgebaut wird. Wenn es so wäre, dann würden die Steuerzahler Stadt und Land für plemplem halten.

 
 

Die Verbindung von Bestand und Neubau. Quelle: © Georg Reisch GmbH & Co. KG / Stadt Nürnberg

 
 

Es war auch nie an einen “Bau light” gedacht, was derzeit als Grund für die Kostensteigerung von den Verantwortlichen der Stadt genannt wird. Brandschutz und die Sicherheit kosten gleichviel, ob das Gebäude zehn oder 25 Jahre stehen bleibt.

Es bleibt noch länger erhalten und wird dann anderweitig als für Oper und Ballett genutzt. Der Anstieg der Kosten, die als Referenzobjekt das Interim in München haben, liegt daran, dass es sich in Nürnberg um eine Spielstätte für Oper und dazugehörigen technischen Räumen handelt und nicht um ein reines Konzerthaus wie in der Landeshauptstadt.

Kulturbürgermeisterin Julia Lehner hat mit ihrem Team hohe Fördersummen von Bund und Land nach Nürnberg für das Opernhausinterim holen können: Neun Millionen Euro von der EU, 30 Millionen vom Bund und 34,5 Millionen Euro von Bayern. Diesen Betrag hat die Landesregierung zusätzlich zugesagt, denn von den eigentlichen Baukosten in Höhe von 225 Millionen Euro hat München versprochen, zwei Drittel zu übernehmen.

An der Stadt selbst bleiben rund 80 Millionen Euro hängen. Das ist fördertechnisch für Nürnberg herausragend. Würde das Interim nicht gebaut werden, dann müsste die Stadt alleine über 60 Millionen Euro aufbringen, um das Dach des Denkmals Kongresshalle zu erneuern. Nürnberg müsste für Reparaturen sehr viel Geld ausgeben, weil ihr bislang das Denkmal gehört und hätte keinen Nutzen und keine Ausweichspielstätte. Im Stadtrat haben dies offenbar vor allem die kleineren Parteien und Einzelstadträte nicht begriffen.

Ein Haufen Moos. | Illustration: © Paul Blotzki

Kulturbürgermeisterin Julia Lehner habe “gekämpft wie eine Löwin”, so Oberbürgermeister Marcus König, damit nicht noch etwas dazwischenkommt. SPD-Fraktionsvorsitzende Christine Kayser legte großen Wert darauf, dass die Baukosten genau überprüft werden und es zu keinen größeren Steigerungen kommt.

Neben den Irritationen um den Begriff “Interim” wurde auch über Fördergelder spekuliert. Damit verpflichtet sich die Stadt nach den bayerischen Regularien, das Vorhaben mindestens 25 Jahr kulturell zu nutzen.

Bleibt dann das Interim auf Dauer das neue Opernhaus? Nein. Wer Mittel für die Städtebauförderung bekommt, muss eine Immobilie mindestens 25 Jahre nutzen, sonst muss er die Gelder zurückzahlen. Das Interim kann aber, wenn die Oper nach der Sanierung wieder in das Opernhaus am Richard-Wagner-Platz zurückkehrt, weiter kulturell genutzt werden. Ein Musiklaboratorium für die nächsten 100 Jahre wäre gut vorstellbar.

In vier Jahren steht das Opernhaus nicht mehr zur Verfügung – es muss umgebaut und saniert werden. | Foto: © Janine Beck

Wie wird das Opernhaus saniert?

Bleibt noch das Opernhaus und seine Sanierung. Dazu gibt es keine Beschlüsse des Stadtrats, außer dass Oper und Ballett irgendwann einmal zurückkehren werden. Mehr Details kann es auch nicht geben, weil es keine Pläne und deshalb auch noch keine Kostenschätzungen gibt. Es geistert derzeit die Summe von einer Milliarde durch die Presse, aber das ist eine Daumenschätzung.

Derzeit setzen sich die Kosten für die Sanierung des Opernhauses aus zwei Beträgen zusammen: 300 Millionen für das Interim und 600 bis 700 Millionen Euro für das Opernhaus. Letzteres bezieht sich allein auf die Sanierung eines Berliner Opernhauses vor einigen Jahren, aber nicht auf Nürnberg. Es wird in Nürnberg noch sehr lange Diskussionen geben, wie der Opernsaal saniert wird: Die Rückkehr zum ursprünglichen Jugendstil wäre unbezahlbar, die Sanierung auf der Basis des Nazi-Umbaus wäre unvertretbar, ein Neubau für die beste Akustik wäre richtig, wohl aber schwer vermittelbar. Diese Diskussion kann erst nach dem vorläufigen Umzug in das Interim geführt werden.

Wenn jetzt schon in Nürnberg über den Preis der Sanierung ohne Zielsetzung und Kalkulationen diskutiert und mit der Klage über den Preis verbunden wird, dann ist das Ausdruck einer Selbstverzwergung Nürnbergs. Keine andere Großstadt würde freiwillig auf ein Opernhaus mit dem Hinweis auf das Preisschild verzichten. Das ist kulturlos. Hier sind dann keine Experten am Werk, sondern Banausen.

Bund soll Nazi-Erbe mittragen

Dass die Kulturbürgermeisterin und die SPD darauf drängen, dass die Kongresshalle mit Dokumentationszentrum, Opernhausausweichspielstätte und kulturellen Räumen in eine Stiftung Nationales Erbe überführt wird, getragen von Bund, Land und Stadt, ist richtig und muss nachdrücklich unterstützt werden. Viel zu lange wurde Nürnberg mit dem Nazi-Sch… alleine gelassen.

Vornehmer ausgedrückt: “Nationales Erbe im Besitz einer Stadt ist außergewöhnlich und gehört zum Bund”, sagte Baureferent Daniel Ulrich. “Das wird ein Prozess.”

 

Mehr Artikel

Das Staatstheater funkelt

17. März 2024 – Über die Notwendigkeit einer qualitativ hochwertigen Interimsspielstätte während der Sanierung des Opernhauses.

Weiterlesen

Kultur, Kosten, Kommunikation

3. Dezember 2023 – Ein geopfertes Konzerthaus und ein “Opernhaus small” für Nürnberg?

Weiterlesen

Die Oper muss in der Mitte Nürnbergs bleiben

6. August 2023 – Die fränkische Bescheidenheit ist zum Weinen.

Weiterlesen

Zurück
Zurück

Die Plattler von Nürnberg: Nur nichts Grünes

Weiter
Weiter

Schuldenberg ja, aber keine Verschwendung