NS-Gelände auf der Kippe: Lässt Weimer Nürnberg fallen?
Sanierungsarbeiten auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg. Die Finanzierung durch den Bund ist derzeit ungewiss. | Foto: © Janine Beck
Von Anerkennung zu Ablehnung: Berlins neue Haltung
Der Begriff Kipppunkt hat seit wenigen Jahren Konjunktur. Er bezeichnet einen Wahrnehmungs- und Gestaltwechsel. In der Klimaforschung ist damit der kritische Schwellenwert gemeint, von dem an die Veränderungen im Klimasystem unumkehrbar sind.
Plötzlich ist alles ganz anders. Bei Nürnbergs Erinnerungskultur droht allerdings ebenfalls ein Kipppunkt: Seit 25 Jahren leistet die Stadt hervorragende Arbeit und jetzt soll alles ganz anders sein?
Eine nationale Aufgabe – jahrzehntelang allein getragen
Nürnberg wurde seit Jahrzehnten mit dem Unterhalt der Nazi-Bauten alleine gelassen. Es war ein zäher Prozess, die Sanierungskosten des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes künftig auf Bund, Land und Stadt aufzuteilen.
Es ist eine nationale Aufgabe und nicht ein Vorhaben der Stadt Nürnberg. Auf insgesamt 88,3 Millionen Euro belaufen sich die Kosten. Davon entfallen 63,825 Millionen Euro auf Bund und Land. Die übrigen Anteile muss die Stadt übernehmen.
Der Bund hatte zwar schon lange die Finanzierung zugesagt, doch vor wenigen Wochen machte er wieder einen Rückzieher. Offenbar ist der Kulturaushaushalt des Bundes überzeichnet und es geht in Nürnberg die Furcht um, dass die Stadt das Vorhaben allein finanzieren muss, was nicht möglich ist.
88,3 Millionen Euro: Projekte vor dem Stillstand
Es geht dabei nicht nur um die ehemalige Reichsparteitagstribüne, sondern auch um den Umbau des ehemaligen Bahnhofs Dutzendteich in den neuen Ankunfts- und Informationsort für das Dokumentationszentrum.
Kommt vom Bund tatsächlich kein Geld, dann müsste Nürnberg eigentlich den Weiterbau einstellen. Woher soll Nürnberg denn 63,825 Millionen Euro nehmen – zusätzlich zu den schon verplanten 24,48 Millionen Euro?
Der ehemalige Bahnhof Dutzendteich während des Umbaus zum neuen Ankunfts- und Informationsort für das Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände. | Foto: © Janine Beck
Weimers fragwürdige Haltung
Dass es wieder einmal hakt, liegt offensichtlich am Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Wolfram Weimer. Während seine Vorgängerin Claudia Roth und deren Vorgänger/Vorgängerin sich klar zur Sanierung der Tribüne und den damit verbundenen Bildungsauftrag des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände bekannt haben, eiert Weimer herum.
Dass es eine nationale Aufgabe ist, daran hat seit zehn Jahren kein Mitglied einer Bundesregierung mehr gezweifelt. Aber nicht einmal zum Richtfest bei der neuen Anlaufstelle für das Reichsparteitagsgelände hat der Kulturbeauftragte der Bundesregierung einen Vertreter geschickt. Dabei gibt es kein vergleichbares Vorhaben in Deutschland.
Interessenkonflikt und bayerische Subventionen
Staatsminister Wolfram Weimer in Berlin – während Nürnberg auf 63 Millionen Euro wartet. | Foto: © BKM / Kay Herschelmann
Weimer, der in seinem Leben insgesamt vier Anläufe unternommen hat, um als Journalist zu landen, muss aufpassen, dass er sich als Mitglied der Bundesregierung nicht in das Firmenkonglomerat seiner Frau Christiane Goetz-Weimer verwickelt. Weimer hat sich zwar aus dem Medienunternehmen offiziell zurückgezogen. Er hält aber weiter noch Firmenanteile.
Für den Ludwig-Erhard Gipfel, auf dem sich viel Prominenz in Oberbayern tummeln soll, erhält Weimers Frau erhebliche Subventionen. Allerdings aus der Schatulle des bayerischen Wirtschaftsministeriums.
Das regt zum Nachdenken an, denn die Fürther haben mit dem Ludwig-Erhard-Zentrum den ersten Aufschlag für eine größere Ludwig-Erhard-Tagung gemacht. Vielleicht haben jetzt die Weimers bessere Beziehungen als die Fürther und jeder ist sich selbst der nächste.
Kein Zurück nach 15 Jahren Diskussion
Nach 15 Jahren Diskussion über die ehemalige Reichsparteitagstribüne darf das Verfahren nicht noch einmal von vorne losgehen. Der Bund muss mitmachen und kann sich nicht plötzlich herausziehen. Sollte die Entscheidung tatsächlich noch gekippt werden, dann wird das ganze Verfahren wahrscheinlich nicht noch einmal aufgerollt werden.
Auch die Stiftung steht auf der Kippe
Auch bei der Stiftung, die für die ehemalige NS-Kongresshalle gegründet werden soll, macht Weimer Probleme. Geplant ist von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner die Gründung einer Stiftung, in der das Kongresshallen-Torso und die künstlerischen Aktivitäten sowie Teile der Erinnerungskultur eingebracht werden sollen.
Das war explizit bei den Regierungsverhandlungen zwischen CDU, SPD und CSU abgesprochen. Es sollte in dieser Legislaturperiode der pädagogische und künstlerische Umgang mit den Nazi-Hinterlassenschaften stärker in den Vordergrund gerückt werden.
Die Mitarbeiter Weimers zicken jetzt herum, mit der Begründung, dass sie nie einer Stiftung beitreten, bei der sie auch Betriebskosten finanzieren. Das stimmt schon beim ersten Nachdenken nicht, denn bei den Wagner-Festspielen werden selbstverständlich die Betriebskosten vom Bund bezahlt.
Kann Söder sich gegen Weimer durchsetzen?
Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ist in allen seinen Teilen das mit Abstand größte Vorhaben, das sich der Erinnerungskultur des Nationalsozialismus stellt. Auch mit den Teilen, die dezidiert ausgebaut wurden, um zu zeigen, dass aus der Geschichte gelernt werden kann.
Wie auch die große Nachfrage von Besuchern des Memoriums belegt. Dass Weimer offenbar die weltweite Dimension des Vorhabens in Nürnberg nicht erkennt und lieber an den Tegernsee fährt, verwundert dann doch.
Mal sehen, ob Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, der sich gerne hemdsärmelig gibt, sich gegen Weimer durchsetzen kann. Es müssen beide Vorhaben finanziell vom Bund unterstützt werden und nicht nur eines oder keines.
Die Stadt muss nicht nur um die Bundesmittel für das NS-Gelände bangen, sondern auch um Söders fünfzigprozentigen Zuschuss für das neue Stadion. | Foto: © Janine Beck
Sonntagsreden statt authentische Geschichte
Allerdings, das ist wieder einmal ein Nebenweg in dieser Kolumne, heißt es auch, dass die Stadt ebenfalls schon einen Kipppunkt entdeckt hat: Der Stadionneubau soll aus dem mittelfristigen Finanzplan von Nürnberg herausgenommen werden, obwohl Söder der Stadt beim Club-Jubiläum einen fünfzigprozentigen Zuschuss für den Stadionneubau zugesagt hat.
Ist das Stadion in der Finanzplanung Nürnbergs nicht enthalten, dann trägt sich der Haushalt schon viel leichter. Die Fußballfans schauen dann aber in die Röhre, wenn die Vermutung zutrifft.
Für Weimer ist die Erinnerungskultur offenbar nur dann wichtig, wenn es um Sonntagsreden im Rahmen von Erinnerungskultur geht. Authentische Geschichte und ihre Erklärung sind nicht sein Ding. Was scheren mich die Zusagen meiner Vorgänger/Vorgängerinnen, Hauptsache der Haushalt passt.
Dann würde der Kipppunkt zu einer Kippfigur in der Erinnerungskultur werden: Ein überraschender Perspektivwechsel, eine Form von Humor. Zum Lachen ist das nicht.
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