Wo lernt Nürnberg Demokratie?
Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände: Nürnbergs Vorbildrolle in der Erinnerungskultur. | Foto: © Janine Beck
Reichsparteitagsgelände und Memorium: Nürnbergs Vorbildrolle
Nürnberg hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr viel für die Erinnerungskultur getan. Mit dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände wurde die Rolle Nürnbergs im Propagandasystem der Nationalsozialisten exemplarisch gut aufbereitet.
Keine andere Stadt hat sich diese Mühe gemacht, in dieser Tiefe und Qualität über den Nationalsozialismus am eigenen Beispiel aufzuklären.
Mit der nie fertiggestellten Kongresshalle, der Tribüne für die Reichsparteitage, dem Aufmarschgelände und dem Bahnhof Langwasser – von dort wurden die jüdischen Mitbürger in Ghettos und Konzentrationslager geschickt – hat Nürnberg auch viel authentisches Anschauungsmaterial zu bieten.
Keine Filme, sondern konkrete Zeugnisse des NS-Größenwahns.
Ausbau der Erinnerungsorte: Zeppelintribüne und Memorium
Angesichts dieser baulichen Hinterlassenschaften und des anhaltend großen Zuspruchs von Besuchern des Reichsparteitagsgeländes ist es sinnvoll, das Informationsangebot mit dem ehemaligen Bahnhof Dutzendteich als Anlaufstelle auszubauen, damit die architektonischen Überreste auch entsprechend eingeordnet werden können.
Das geschieht derzeit. In den vergangenen Tagen wurde Richtfest gefeiert.
2030 soll das Gesamtprojekt „Lern- und Begegnungsort Zeppelintribüne“ fertiggestellt sein.
Nürnberg erinnert sich nicht nur mit Ausstellungen und Rundgängen im Rahmen des Dokumentationszentrums an diese schreckliche Zeit. Mit dem Memorium im Gerichtsgebäude an der Fürther Straße gibt es auch eine erschütternde Darstellung der juristischen Aufarbeitung von Kriegsverbrechen der NS-Spitzen und ihrer Epigonen.
Die Stadt bemüht sich auch, die Nürnberger Prinzipien und ihre Bedeutung international bekannt zu machen.
Das ehemalige Gau-Gebäude an der Marienstraße 11: Hier soll das Haus der Demokratie entstehen. | Foto: © Janine Beck
Zwei neue Projekte: Haus der Demokratie und Jüdische Begegnungsstätte
In der vergangenen Woche brachte die Stadt Nürnberg zwei weitere Projekte auf den Weg, die zum weiteren Umfeld der historischen Lern- und Bildungsorte gehören. Beide haben eine unterschiedliche Akzentuierung und es soll mit ihnen aus der Geschichte gelernt werden.
Die ehemalige NS-Parteizentrale des „Gauleiters von Franken“ und Herausgebers des antisemitischen Hetzblatts „Der Stürmer“, Julius Streicher, die seit der Nachkriegszeit als Hauptsitz des Verlags Nürnberger Presse genutzt wird, soll zum „Haus der Demokratie“ werden.
Exemplarisch könne dort die wechselvolle Geschichte der Stadt und ihre demokratische Entwicklung gezeigt werden. Perspektivisch könne das Gebäude Marienstraße 11 als Ausgangspunkt für ein „pädagogisches und politisches Bildungsangebot“ genutzt werden, heißt es in der Presseerklärung der Stadt.
Das zweite Vorhaben ist nicht minder anspruchsvoll. Es wurde eine Machbarkeitsstudie für eine Jüdische Begegnungsstätte in der Innenstadt von der Israelitischen Kultusgemeinde und der Stadt Nürnberg erstellt.
„Jüdisches Leben gehört selbstverständlich zu unserer Stadt. Mit der Machbarkeitsstudie haben wir ein Bild von einer Jüdischen Begegnungsstätte in Nürnberg gezeichnet. Und solche Begegnungsorte, gegenseitige Neugierde und Kennenlernen von anderen Kulturen schaffen eine Gemeinschaft ohne Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“, formuliert Oberbürgermeister Marcus König.
Das ist sehr ambitioniert. Mit der Begegnungsstätte soll ein Ort für jüdische Schriftsteller, Workshops, kulturelle Veranstaltungen und Diskussionsrunden eingerichtet werden. Das klingt gut.
Die Grenzen der Erinnerung: Wer kommt wirklich?
Doch es beschleichen einen Zweifel, ob beide Vorhaben auch richtig sind. Die Zweifel betreffen natürlich nicht die mit den Orten verbundenen Inhalte, sondern ihren Anspruch und ihre Einbindung in den Alltag.
Einige Anmerkungen, auch wenn beide Projekte wahrscheinlich nicht schnell umgesetzt werden, denn es fehlt an Geld.
Demokratie muss in den Schulen gelernt werden
Es drängt sich die Erinnerung an den Nürnberger Trichter auf, mit dem Schülerinnen und Schülern Wissen eingetrichtert werden soll, wenn sie es einfach nicht lernen wollen oder keinen Zugang dazu haben.
Toleranz, Demokratie, Menschenrechte und grundgesetzliche Rechte müssen in den Schulen gelernt und praktiziert werden. Das ist das elementare Handwerkszeug für ein gelingendes Zusammenleben. Von welcher Schule auch immer Schülerinnen und Schüler abgehen, müssen sie selbstverständlich demokratische Verfahren beherrschen und Toleranz im Alltag pflegen.
Wenn eine Gesellschaft erst Einrichtungen schaffen muss, die um Demokratie und Toleranz für Weltreligionen werben müssen, dann läuft etwas falsch in der Gesellschaft. Links- und Rechtsextremisten klopfen nicht an Türen von solchen Begegnungsstätten. Es wäre natürlich schön, wenn es anders wäre. Es treffen sich meistens diejenigen, die sich schon kennen.
Auch ins Memorium kommen vor allem jene, die ohnehin reflektieren. | Foto: © Janine Beck
Lessings Ringparabel und die Begegnungsstätten: Theorie für Intolerante
Bei der jüdischen Begegnungsstätte besteht die Gefahr, dass nur diejenigen kommen, die kein Problem mit den unterschiedlichen Religionen haben. Die Ringparabel von Gotthold Ephraims Lessings „Nathan der Weise“ ist für sie selbstverständlich und keine Theorie.
Die verbohrten, intoleranten, spalterischen und dogmatischen Zeitgenossen werden nicht kommen. Sie werden diese Einrichtung nicht einmal wahrnehmen. Wie kommen wir an diese Menschen heran? Darauf habe ich noch keine Antwort. Aber es ist die zentrale Frage.
Die Gut-meinenden würden unter sich bleiben und es blieben ihnen nur Appelle an das Menschliche, die Forderungen nach Respekt voreinander und nach menschlicher Solidarität.
„Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder mit seinem Ring, …" – Lessings Ringparabel aus „Nathan der Weise" (Reclam Leipzig 1970). Erreicht diese Botschaft auch diejenigen, die Begegnungsstätten meiden? | Foto: © Janine Beck
Demokratie darf nicht zur Wandertags-Pflicht verkommen
Pressefreiheit, Medienkompetenz, Demokratiebildung und die Bedeutung unabhängiger Berichterstattung, die mit dem „Haus der Demokratie“ als Lernort verbunden werden sollen, sind Werte, die in den Schulen umgesetzt werden müssen. Sie sollten selbstverständlich für den Einzelnen sein.
Sonst verkommt die Demokratie zu einer Wanderung ins „Haus der Demokratie“ an den Wandertagen der Schulen.
Es fehlt meiner Meinung nach leider bei zu vielen die selbstverständliche Begeisterung für Demokratie und Toleranz im Alltag. Es muss nicht immer erst einen geben, der sagt, dass man für etwas sein soll. Das muss mit den eigenen Überzeugungen verbunden sein.
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