Blindflug über Nürnbergs Sanierungsstau
Nürnbergs Infrastruktur bröckelt: Brücken, Schulen, Opernhaus – das Geld reicht hinten und vorne nicht. | Illustration: © Paul Blotzki
Nürnbergs Infrastruktur bröckelt: 180 Millionen Euro für eine Schule, 347 Millionen für Hafenbrücken, eine Milliarde für das Opernhaus. Die fränkische Metropole steht exemplarisch für ein deutschlandweites Problem – Kommunen ersticken im Sanierungsstau, während Bund und Länder ihnen immer neue Aufgaben aufbürden.
Die Bundesregierung verspricht 100 Milliarden Euro aus ihrem Infrastrukturprogramm für die Kommunen. Doch allein Nürnbergs Rechnung zeigt: Das Geld reicht nicht annähernd. Eine Lösung könnte provokant sein – eine zeitlich begrenzte Erbschaftssteuer ohne Freibeträge. Generationengerechtigkeit neu gedacht.
1,7 Milliarden für Nürnberg. 100 Milliarden für Deutschland. Das reicht nicht.
Radfahren hat etwas Meditatives. Vor allem in der Stadt. Man kommt schnell vorwärts und kann im Nahbereich seine Route stärker differenzieren als mit dem Auto.
Wer Rad fährt, der sieht mehr von Nürnberg und kommt durch wechselnde Perspektiven auf neue Gedanken.
Spaziergänger, die sehr viel mehr Zeit benötigen als Radfahrer, um eine bestimmte Strecke zurückzulegen, dürften deshalb in einigen Stadtteilen depressiv werden: Mit dem Zweirad ist man schnell wieder weg, wenn negative Stimmungen und Bilder übermächtig werden wollen.
Warum Kommunen das Geld fehlt
Als die neue Bundesregierung sich auf eine Modernisierung der deutschen Infrastruktur einließ, hat sie tatsächlich das sprachlich abgedroschene Fass ohne Boden aufgemacht.
Entweder fahren die Bundestagsabgeordneten selten mit Fahrrädern durch ihre Wahlkreise und wissen gar nicht, was alles saniert werden muss oder aber sie tun sich mit dem Rechnen schwer.
Denn sonst hätten sie merken müssen, dass die Milliarden Euro, die für die Sanierung der vielen Schwachpunkte der Infrastruktur aufgewendet werden müssen, bei weitem den vorgesehenen Betrag übersteigen.
Aber langsam. Die Mutter der Demokratie ist die lokale Ebene, mit der und auf der die Menschen ihren Alltag organisieren. Gelingt dort der Interessenausgleich und das Zusammenleben, dann sind eine feministische Außenpolitik, überkommener Wertesubstantialismus oder staatstragend-pathetische Reden weit weg.
Doch Landes- und Bundesebene trauen der lokalen und regionalen Ebene nicht: Sie bürden ihnen immer wieder Aufgaben auf, für die sie Städte und Landkreise nicht genügend finanziell ausstatten. Für den baulichen und technischen Unterhalt bleibt bei den Kommunen nichts mehr übrig. Schauen wir zum Beispiel auf Nürnberg.
180 Millionen Euro kostete der Neubau der Bertolt-Brecht-Schule – die alte Vorzeigeschule war nach 20 Jahren unbenutzbar. | Foto: © Janine Beck
Das Erbe des Größenwahns: Nürnbergs marode Schulhäuser
Wenn Landes- und Bundespolitiker die Augen aufgemacht hätten, dann wäre ihnen aufgefallen, wie marode der Zustand von Schulhäusern schon in den 90er Jahren war. Nürnbergs einstige Vorzeigeschule, damals die integrierte Gesamtschule Bertolt-Brecht, 1976 gegründet, gab schon 1994 ihr Konzept auf, weil es nicht funktioniert hat.
Baulich stand sie für den Größenwahn der Bundesrepublik Deutschland, alles besser machen zu wollen. Es wurden innenliegende Klassenzimmer gebaut, die nur Oberlichter hatten und im Keller hatten die Schulräume überhaupt keine Fenster. Schon 1997 regnete es durch das Dach und das Wasser musste in Klassenzimmern über Regenrinnen abgeleitet werden.
Diese Schule war kein Einzelfall. Geradezu desaströs der bauliche Zustand des Schulzentrums Südwest. Mangelnde Bauqualität, schlechter Bauunterhalt, fehlende Rücksichtnahme auf Nachhaltigkeit und Geldmangel bei den Sanierungen führte zu Dutzenden von Schulen, die entweder abgerissen werden mussten oder nur mit viel Aufwand auf den neuesten Stand zu bringen waren.
Die Liste mit den maroden oder zu kleinen Schulen arbeiten Bau- und Schulverwaltung noch heute ab.
Viatisschule und Schulzentrum Südwest: Beispiele des Verfalls
Ein letztes Beispiel: In der Viatisschule waren die Außenwände so schlecht, dass man mit dem Schraubenzieher durchstoßen konnte. Ein kompletter Neubau war nötig.
Die Kosten für den städtischen Haushalt:
Viatisschule (Neubau): 5,4 Millionen Euro
Bertolt Brecht Schule (Neubau): 180 Millionen Euro
Schulzentrum Südwest (Sanierung): 200 Millionen Euro.
„Himmel hilf" – SPD-Stadtrat Arno Hamburger 2005 zum Brückenbericht. 20 Jahre später kostet allein der Neubau der Hafenbrücken 347 Millionen Euro. Nürnberg hat 291 Brücken. | Foto: © Janine Beck
„Himmel hilf!“ – Brücken in Not
In den Nullerjahren kamen die vielen sanierungsbedürftigen Brücken hinzu. Als vor rund 20 Jahren der erste systematische Brückenbericht einem Ausschuss des Nürnberger Stadtrats vorgelegt wurde, rief ein SPD-Stadtrat voller Verzweiflung aus, „Himmel hilf“. Arno Hamburger bezog es auf die Hafenbrücken, die saniert werden mussten. Zwei Jahrzehnte haben die Vorarbeiten gedauert. Erst jetzt haben Abriss und Neubau begonnen. Derzeit liegen die Kosten für die neuen Hafenbrücken bei 347 Millionen Euro!
2023 gab Nürnberg fast 100 Millionen Euro für Brückensanierungen aus. Die Stadt muss 291 Brücken unterhalten. Ein Ende des Brückenunterhalts ist nicht absehbar. Hinzu kommen noch Stützbauwerke, Trogbauwerke und Tragwerke für Verkehrszeichen.
Sondervermögen vs. Realität
Die neue Bundesregierung will in den nächsten Jahren zwar 500 Milliarden Euro für Sanierung und Modernisierung der Infrastruktur ausgeben. 100 Milliarden Euro sind dafür für die Kommunen vorgesehen. Doch allein der Verweis auf Brücken und Schulen macht deutlich, wie teuer das wird. Dabei sollen die Finanzmittel, die in den nächsten zehn Jahren fließen, für zusätzliche Infrastrukturprojekte verwendet werden. Davon einmal abgesehen, dass es schwierig sein wird, die Kontrolle zu behalten, macht es wenig Sinn, wenn die vorhandenen Turnhallen und Klassenzimmer marode sind und daneben neue Gebäude, neue Brücken oder neue Schulen errichtet werden.
Das Geld aus dem Sondervermögen der Bundesregierung, besser Sonderkredit, wird bei weitem nicht langen, alle Lücken zu schließen.
Das Max-Morlock-Stadion in Nürnberg ist sanierungsbedürftig. Ein Neubau würde mindestens 300 Millionen Euro kosten. | Foto: © Janine Beck
Nürnbergs Oper und Stadion bröckeln
Noch einmal Nürnberg: Das Opernhaus ist marode und steht in zwei Jahren leer. Eine Milliarde soll die Sanierung kosten. Der Erhalt des Frankenschnellwegs wird auch ohne kreuzungsfreien Ausbau an die 150 Millionen kosten. Rausgeschmissenes Geld, wenn es keine verkehrlichen Verbesserungen bringt. Das Stadion bröckelt. Ein Neubau kostet mindestens 300 Millionen Euro. Im Angebot wären dann noch die baufällige Meistersingerhalle, die sanierungswürdige Erziehungswissenschaftliche Fakultät, fehlende Kinderbetreuungsangebote – auch wenn sich hier viel verbessert hat. Die Liste ist lang.
Es ist nicht so, dass nichts gemacht wird. Es werden Straßenbahnlücken im Netz geschlossen, das Volksbad wird saniert, es wird ein neues Schulzentrum in Langwasser gebaut und es entsteht ein Opernhausinterim, das wahrscheinlich sehr lange ein Interim bleibt. Aber das Geld reicht nicht. Es wäre auch naiv zu glauben, dass alles möglich ist.
Warum ist die Situation so schwierig? Dabei geht es diesem Land doch viel besser als fast allen anderen Ländern. Und ein Opernhaus für eine Stadt wie Nürnberg, ein Stadion und eine gute Krankenhausversorgung sind doch kein Luxus oder haben wir doch zu große Ansprüche gegenüber dem Gemeinwesen? Müssen wir uns mehr einschränken?
Wie eine Erbschaftssteuer das Gemeinwesen rettet
Zumindest wird mehr Geld für den Unterhalt des Gemeinwesens benötigt oder aber wir reduzieren unsere Ansprüche. Da wir alle gemeinsam die Infrastruktur nutzen, wenn sie funktioniert, wäre es überzeugend, wenn jegliches Erbe mit fünf oder zehn Prozent besteuert wird. Ohne Freibeträge. Begrenzt auf zehn Jahre, dann würde die jetzige Erbengeneration mehr zum Erhalt des Landes als die jüngere Generation beitragen. Das wäre eine Form von Generationengerechtigkeit.
Bei den Klagen etwa über den Zustand der Bahn oder über klamme Kommunen im Westen mit Schuldenbergen, wird oft vergessen, dass in den vergangenen 35 Jahren sehr viel Geld in die neuen Bundesländer geflossen ist. Das war nötig, aber das erklärt auch, warum auf allen Ebenen in den alten Bundesländern das Geld fehlt.
Bis zu 2 Billionen Euro wurden in den Osten überwiesen. Da wird es dann schwierig, noch Geld im Bahnhaushalt für die neue Weiche zwischen Nürnberg und Feucht zu finden, wenn ein heruntergewirtschaftetes Reichsbahnnetz im Osten komplett erneuert werden musste. Dass wir uns dann auch noch mit Armleuchtern für Deutschland herumschlagen müssen, ist eigentlich zum Verzweifeln. Es wäre auch an der Zeit, einmal danke zu sagen.
Sanierungen als undankbare Aufgabe
Für die Politik sind Sanierungen selten ein schönes Ereignis. Sie kosten sehr viel Geld. Wenn die Hafenbrücken im Nürnberger Süden wieder neu sind, dann finden die Nutzer keine bessere Situation vor als vor der Sanierung. Mehr nicht. Aber sie können weiter über den Kanal fahren. Die Brücken halten und müssen nicht überraschend komplett geschlossen werden wie in anderen Bundesländern.
Fazit
Die 100 Milliarden für die Kommunen vom Bund klingen nach viel. Allein Nürnberg braucht aber schon 1,7 Milliarden. Hochgerechnet auf alle Kommunen: absurd. Eine zeitlich begrenzte Erbschaftssteuer ohne Freibeträge wäre mehr als nur eine Steuer. Sie wäre ein Generationenvertrag. Die Generation, die vom Wirtschaftswunder profitiert hat, beteiligt sich am Erhalt für ihre Enkel. Fair, oder?
Bis dahin gilt: Sanierungen bringen keinen Glamour. Keine Einweihungsfeiern, keine Danksagungen. Die Hafenbrücken werden nach 347 Millionen Euro nicht besser sein als vorher. Aber sie halten. Das ist die unspektakuläre Wahrheit. Nürnberg macht weiter. Projekt für Projekt. Aber ohne grundlegende Änderung wird die Liste nie kürzer.
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