Der stille Kubus
Nazi-Erbe, Operntraum und die Last der Geschichte
Die Debatte in den vergangenen Jahren über eine mögliche kulturelle Nutzung des Kongresshallentorsos auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände war kein Ruhmesblatt. Richtig ehrlich wurde sie nicht geführt, denn dann wäre von Anfang an deutlich geworden, dass die Stadt Nürnberg sich über den Denkmalschutz, unter dem die Kongresshalle steht, offensiv hinwegsetzen möchte, um unter allen Umständen dort ein Interim für die Oper während der Sanierung des Opernhauses unterzubringen.
Die Diskussion wurde sehr verhalten geführt und es gab von Anfang an Denkverbote, denn ein architektonisch spannendes Interim sollte es von der Stadtspitze aus nicht werden, um zu vermeiden, dass es eine Konkurrenz zu dem genialen Konzept des österreichischen Architekten Günther Domenig wird, der den Eingang des Dokumentationszentrums als Speer, der die Kongresshalle durchbohrt, gestaltete.
Herausgekommen ist ein bescheidener, grün bepflanzter Kubus im Innenhof der Kongresshalle, der kein Aufsehen und keine Emotionen erregen wird. Ideologisch flankiert wurde er mit der Fiktion, dass er nach der Sanierung des Opernhauses wieder abgebaut werden könnte, damit die Vorgabe des Denkmalschutzes eingehalten wird. Das ist aber eine rein rechtliche Fiktion, denn auf diesem Weg musste die Stadt nicht mit einem offiziellen Beschluss den Denkmalschutz aushebeln. Allerdings wissen alle Beteiligten, dass es keinen Rückbau geben wird. Das Gebäude wird massiv gebaut. In zehn oder 20 Jahren wäre es der Bürgerschaft nicht vermittelbar, ein Bauwerk abzureißen, das insgesamt 300 Millionen Euro gekostet hat.
Keine Kreativität im Schatten der Geschichte
Allerdings kann es auch nicht zu einem Konzertsaal umgebaut werden, weil nur 800 Zuhörer hineinpassen und die Akustik auf Konzerte umgebaut werden müsste. Das käme zu teuer und mit 800 Zuhörern lassen sich keine Konzerte mit internationalen Stars finanzieren. Das wäre ein permanenter Zuschussbetrieb, den sich Nürnberg nicht leisten kann. Aber die nächste Generation wird bestimmt eine neue Nutzung finden. Noch dazu wächst in der Nachbarschaft mit der TUN eine neue Universität heran.
Mit dem Interimsbau entstehen auch mit den Worten von Kulturbürgermeisterin Julia Lehner Ermöglichungsräume, die nichts anderes sind als Ateliers, Übungs- und Aufführungsräume für die Freie Kunstszene. Eigentlich hätte es einen Freudenschrei aus der Kunstszene geben müssen, sich endlich einmal austoben zu können, doch dem war nicht so. Zuletzt sickerte immer mehr durch, dass es keinen kreativen Schub gibt, weil man endlich ein Dach über den Kopf für seine kreative Arbeit hat. Im Gegenteil, es wurden die hohen Räume, die vielleicht kühl sein werden und eine bedrückende Stimmung, die angeblich von dem Bau ausgeht, moniert.
Es mangelt an Möglichkeitssinn und es fehlen Ideen
Schade, wer angesichts der autoritären und rechtsextremen Sehnsüchte, die sich gegenwärtig breitmachen, noch eine Anregung braucht, der benötigt natürlich keine Räume in der Kongresshalle. Jammern hat in Nürnberg leider eine Tradition. Es wird immer das bejammert, was man hat. Es mangelt an Möglichkeitssinn und es fehlen Ideen. Aber vielleicht wird es noch. Natürlich darf in den Räumen nicht nur eine politische Kunst, die sich gegen Rechtsextreme wehrt, stattfinden, aber auch.
Spannend wird die Diskussion werden, nachdem beim Denkmalschutz auf die Pausentaste gedrückt wurde, wie es mit dem Reichsparteitagsgelände insgesamt weitergeht. Das Opernhausinterim in der Kongresshalle wurde nur deshalb möglich, weil in jedem Fall Sanierungsarbeiten anstanden, die mit dem kleinen Opernhausersatz baulich verbunden werden konnten.
Wer trägt die Last der Geschichte?
Doch der Unterhalt des Reichsparteitagsgeländes ist keine Aufgabe für eine Stadt. Es ist inzwischen nationales Erbe geworden, für dessen Pflege Nürnberg nicht alleine aufkommen kann. Es darf nicht sein, dass eine Stadt beim Bau und Unterhalt von Kindergärten oder Schulen bremsen muss, nur weil an Nazi-Bauten teure Reparaturen notwendig sind. Ganz zu schweigen davon, dass eine Stadt, die durch den 2. Weltkrieg fast komplett zerstört wurde, dazu beitragen soll, die Ruinen des vermeintlichen tausendjährigen Reiches zu pflegen. Der ehemalige Reichspropagandaminister Joseph Goebbels würde sich vor Freude im Grab herumdrehen, wenn es denn eines gäbe.
Sicher, Nürnberg bekommt für die Sanierung des Geländes Unterstützung vom Freistaat und vom Bund. Aber immerhin ein Drittel der Kosten bleiben an Nürnberg hängen. Das sind allein bei der Tribüne rund 30 Millionen Euro an Sanierungskosten. Das ehemalige Reichsparteitagsgelände muss Schritt für Schritt in eine Stiftung von Bund, Land und Stadt überführt werden, damit das Denkmal auf Dauer erhalten bleibt. Berlin und München haben als politische Zentren des Nationalsozialismus noch einen gewissen Nachholbedarf. Die Leitung der Stiftung wäre sicherlich eine wichtige Aufgabe für die Nürnberger Kulturreferentin Julia Lehner, sollte sie 2026 nicht mehr als Referentin antreten.
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