Panoramablick über Nürnberg vom Schutthügel aus Trümmern des Zweiten Weltkriegs

Blick über die Stadt vom Silberbuck: Unter der grünen Idylle liegen die Trümmer des alten Nürnberg. | Foto: © Janine Beck

 
 

Friedenskinder müssen aufrüsten

Verteidigungsbereit, kampffähig, wehrfähig, kriegsfähig. Alles Adjektive, die um 1960 Geborene offenbar wieder neu lernen müssen oder sollen. Wer vor 60 oder 65 Jahren in Deutschland auf die Welt kam, hatte bisher Glück, denn es gab keinen Krieg mehr.

Radtour vom Silberbuck in die Sebalder Steppe

Wie schrecklich Kriege sind und welche Folgen sie haben, macht folgende kurze Radtour in Nürnberg deutlich. Start ist auf dem Hügel zwischen Messegelände und Silbersee. Von dort aus hat man einen schönen Blick auf Nürnberg und auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände. Der Hügel ist aber keine natürliche Erhebung. Er besteht aus dem Schutt der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Altstadt, der nicht mehr verwendet werden konnte. Über 90 Prozent der Altstadt wurde durch Bomben und Sprengsätze zerstört. Fast alle historisch wichtigen Gebäude sind wieder aufgebaut – bis auf das Pellerhaus. Bei ihm kam der Wiederaufbau zum Erliegen. Beim Blick auf Nürnberg drücken einem schon die Schuttreste durch die Grasnarbe.

Den Hügel runter geht es mit dem Rad zum zerstörten Aufmarschgelände der NSDAP im Luitpoldhain, das keiner vermisst, und das heute ein Freizeitgelände ist. Wer will, der kann die Pseudosakralisierung der SA-Aufmärsche noch in Beziehung zu den heutigen Klassik-Open-Air-Konzerten setzen. Es gibt doch einen gesellschaftlichen Fortschritt. Die nächste Station ist der Südfriedhof.

Dort liegen die Gebeine von Zwangsarbeitern, Bombenopfern und Soldaten. Ein Friedhof erzählt mehr von der Geschichte als viele Bücher. Kriege zerstören Menschen. Die Gräber sind eine Mahnung für die Nachgeborenen.

Katharinenruine Nürnberg, im Zweiten Weltkrieg zerstört, heute beliebter Ort für Konzerte

Die Überreste der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Katharinenkirche dienen heute als Konzertbühne. | Foto: © Janine Beck

Von der Katharinenruine zum Hauptmarkt – Wiederaufbau als Hoffnung

Anschließend radelt man zur Katharinenruine neben der Stadtbibliothek. Die baulichen Reste der Kirche erinnern an die Zerstörung der Innenstadt im Zweiten Weltkrieg. Sie dienen heute als Ort für Sommerkonzerte. Krieg bedeutet Zerstörung.

Für die letzten beiden Haltepunkte braucht es viel Fantasie. Der Hauptmarkt wirkt historisch geschlossen. Allerdings wurde der Querbau des Rathauses beim Wiederaufbau verkürzt und in der südöstlichen Ecke wurden die Gebäude neu positioniert. Das tut der guten Stube Nürnbergs aber keinen Abbruch. Die meisten Kunstwerke Nürnbergs haben den Zweiten Weltkrieg überlebt, weil sich die Stadtspitze entgegen dem Kriegstreiber Adolf Hitler entschlossen hatte, sie in den Kellern des Burgbergs unterzubringen. Auf der Fläche hinter der Frauenkirche bis hin zur östlichen Stadtmauer stand 1945 kein Haus mehr. Die sogenannte Sebalder Steppe wurde erst Jahre nach Kriegsende kleinteilig wieder aufgebaut.

Egidienplatz 1952: Die “Sebalder Steppe” sieben Jahre nach Kriegsende. Foto­graf unbe­kannt. Foto A39_III_Fi_E_280 | Quelle: © Stadtarchiv Nürnberg

Gelernte Lektion, vergessene Realität

Der historische Exkurs sollte zeigen, dass die Nachkriegsgenerationen ihre Lektion gelernt hatten, und die Begriffe Landesverteidigung oder Wehrhaftigkeit nur noch mit großer Sensibilität verwendet haben. Es ist ein Paradox, dass nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, den Studentenprotesten, der Friedensbewegung und dem Zusammenbruch des Ostblocks die Wiederaufrüstung der Bundeswehr in den nächsten Jahren ansteht. Das ist psychologisch nicht einfach hinzunehmen: Wenn Waffen gekauft werden, dann werden sie in der Regel auch benutzt.

In den siebziger Jahren konnte man guten Gewissens gegen die militärischen Auseinandersetzungen in Vietnam, Südamerika und dem Irakkrieg, an denen Amerika maßgeblich beteiligt war, demonstrieren. Die Bundesrepublik Deutschland als ein Nachfolgestaat des Deutschen Reichs war jedenfalls nicht beteiligt. Es war möglich, zurecht mit dem Finger auf Amerika zeigen.

Rund 100.000 Menschen demonstrieren im Bonner Hofgarten gegen die Kernenergienutzung. | Quelle: © ullstein bild; 00217089

Bonner Hofgarten: Bühne des guten Gewissens

Die Massen-Demonstrationen im Bonner Hofgarten gegen den Nato-Doppelbeschluss 1979 waren Ausdruck eines scheinbar guten Gewissens. Das Böse sitzt nicht mehr in Deutschland, wie unter dem Nationalsozialismus, sondern ist nach Amerika ausgewandert. Dabei ging es bei dem Beschluss im Grunde nur darum, der UdSSR, die neue und technisch moderne Raketensysteme sowie Kampflugzeuge in den Dienst genommen hatte, mit neuen Nato-Raketen Paroli zu bieten.

Es sei daran erinnert, dass die Sowjetunion die damaligen Abrüstungsgespräche über vier Jahre verzögert hatte. Sie war unwillig abzurüsten und machte dem Westen absurde Vorwürfe: Das imperialistische Streben in Europa lag schon damals auf Seiten der Russen. Polen, Tschechen und Ukrainer können davon erzählen. Die wirtschaftliche Entwicklung der UdSSR hielt aber mit den politischen Ambitionen nicht mit.

Urlaub im Kalten Krieg

Mit der Nachrüstung konnte das Gleichgewicht des Schreckens im Kalten Krieg wieder hergestellt werden. Wer vor 40, 45 Jahren unabhängig mit dem Auto durch die DDR fuhr (ja, das ging), der bekam das Gefühl, dass er Urlaub auf einem riesigen Truppenübungsplatz macht. Allenthalben wurden riesige Raketen transportiert, Panzer aufgestellt und Truppenteile verschoben. Garniert mit kämpferischen Parolen. Das wollte ein großer Teil der westlichen Gesellschaft nicht sehen. Der Glaube an einen Frieden war süß.

Die beiden hochgerüsteten Blöcke sorgten für einen funktionierenden, jahrzehntelangen Nichtangriffspakt. Mit dem Zerfall der Sowjetunion setzte sich Anfang der Neunziger die Haltung durch, dass ein immerwährender Frieden eintreten und der US-Kapitalismus gewonnen hat: McDonald’s überall.

Putins überhörte Warnung von 2004

Der russische Präsident Wladimir Putin machte aber schon 2004 deutlich, dass er nicht daran denkt, Russland auf die damals aktuellen Grenzen zu beschränken, sondern die der alten UdSSR wieder angestrebt werden. Trotzdem rüstete die NATO ab und Deutschland schrumpfte die Bundeswehr. Da hatte die Bundesregierung ein Sparschwein gefunden und das Geld wurde an anderer Stelle ausgegeben.

Demokratie braucht Waffen – ein bitteres Paradox

Wer sich nach den furchtbaren materiellen und menschlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs, die noch heute sichtbar sind, nach jahrzehntelangem Imprägnieren mit Friedensrhetorik und angesichts der Live-Berichterstattung aus Kriegsgebieten daran macht umzudenken, tut sich schwer. Furchtbares Leid ist bei jedem Krieg programmiert. Auch wenn die meisten Menschen wohl einsehen, dass Frieden der richtige Weg ist, haben sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Koordinaten geändert. Der Frieden ist eine rein deklamatorische Vokabel, wenn er militärisch nicht gesichert werden kann.

Die Sorgen vor Russland sind berechtigt

Die Sorgen vor Russland sind berechtigt. Wer sich aber verweigert, mehr Geld in die Aufrüstung der Bundeswehr zu stecken, weil er auf die Folgen von Kriegen verweisen kann, der muss sich klar machen, dass er Russland geradezu einlädt, die Rangordnung der Welt zu bestimmen.

Ja, es fällt sehr schwer, die Wehrfähigkeit mitzutragen, aber wenn wir Individualität, Selbstbestimmung und Demokratie wollen, führt kein Weg daran vorbei.

 

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